Rn 65
Bei bestehender Rückgewährpflicht verweist § 143 Abs. 1 Satz 2 nunmehr ausdrücklich auf die Rechtsfolgen des Bereicherungsrechts.
4.1 Reichweite der Verweisung
4.1.1 Die in Bezug genommenen Vorschriften
Rn 66
Die Reichweite des Verweises in § 143 Abs. 1 Satz 2 auf das Bereicherungsrecht ist umstritten. Ausdrücklich nimmt die Vorschrift nur diejenigen Vorschriften in Bezug, die für den bösgläubigen Bereicherungsschuldner gelten, nicht jedoch jene Regelungen, die auf einen gutgläubigen Bereicherungsschuldner Anwendung finden. Eine Ansicht will dennoch vorrangig § 818 Abs. 1 und 2 BGB, insb. im Rahmen von Wertersatz und Nutzungen, anwenden, und nur falls diese nicht einschlägig sind, auf die § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB zurückgreifen (etwa für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen). Diese Ansicht steht jedoch mit dem Wortlaut sowie der systematischen Abgrenzung zu § 143 Abs. 2 Satz 1 nicht in Einklang.
Rn 67
Folgt man der vorstehenden Ansicht, dann kommen im Einzelnen über § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB zur (entsprechenden) Anwendung
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§ 292 Abs. 2, §§ 992, 987 hinsichtlich der Herausgabe von Nutzungen, |
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§ 285 hinsichtlich der Herausgabe von Surrogaten |
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§ 292 Abs. 1, § 989, § 990 Abs. 2 hinsichtlich des Wertersatzes sowie |
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§ 292 Abs. 2, § 994 Abs. 2, §§ 995, 997-1003 hinsichtlich des Ersatzes von Verwendungen. |
4.1.2 Die zeitliche Reichweite der Verweisung
Rn 68
Als maßgeblicher Zeitpunkt für das Entstehen der Verpflichtung zum Ersatz von Nutzungen, des Wertes bzw. von Verwendungen sehen die (hier in Bezug genommenen) Vorschriften aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit vor. Dieser Zeitpunkt entspricht für die vorliegenden Anfechtungskonstellationen demjenigen des Empfangs des Anfechtungsgegenstands durch den Anfechtungsgegner. § 143 Abs. 1 Satz 2 stellt nämlich den Anfechtungsgegner so, als sei ihm der "Mangel des rechtlichen Grundes" i. S. v. § 819 Abs. 1 BGB von Anfang an bekannt gewesen, d. h. ab dem Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Handlung (§ 140). Infolgedessen findet eine zeitliche Vorverlagerung der Haftung infolge fiktiver Bösgläubigkeit und damit fiktiver Rechtshängigkeit statt (vgl. § 819, § 818 Abs. 4 BGB), und zwar beginnend mit der Vornahme der anfechtbaren Handlung. Diese ist somit maßgeblicher Zeitpunkt für die Ersatzpflicht nach §§ 987, 989 BGB. Der Anfechtungsgegner muss somit ab Erhalt des Anfechtungsgegenstandes wie ein Besitzer nach Rechtshängigkeit stets mit der Verwirklichung der Rückgewährpflicht rechnen.
4.2 Herausgabe von Nutzungen
4.2.1 Grundsatz
Rn 69
Die Herausgabepflicht des Anfechtungsgegners in Bezug auf Nutzungen ergibt sich aus § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 292 Abs. 2, § 987 Abs. 1 BGB (str., siehe oben Rn. 66). Danach sind die aus dem anfechtbar erlangten Vermögenswert tatsächlich gezogenen Nutzungen, sofern sie noch im Vermögen des Anfechtungsgegners vorhanden sind, in natura herauszugeben. Ist dies nicht möglich, muss Wertersatz geleistet werden (siehe unten Rn. 80 ff.). Schuldhaft nicht gezogene Nutzungen sind nach § 987 Abs. 2 BGB als Schaden zu ersetzen. Vgl. zum maßgeblich Zeitpunkt, ab dem die Pflicht zum Nutzungsersatz einsetzt oben Rn. 68. Unter Nutzungen sind Sach- und Rechtsfrüchte sowie Gebrauchsvorteile i. S. v. §§ 99, 100 BGB zu verstehen.
4.2.2 Abgrenzung zu anderen Ansprüchen auf Herausgabe der Nutzung
Rn 70
Hat der Insolvenzschuldner dem Anfechtungsgegner von vornherein nur die Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstands in anfechtbarer Weise eingeräumt, sind Gegenstand des Rückgewähranspruchs nach § 143 Abs. 1 Satz 1 eben diese Nutzungsmöglichkeiten. Ist deren tatsächliche Herausgabe nicht möglich, greift der Wertersatzanspruch nach § 143 Abs. 1 Satz 2. Ein eigenständiger Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen ist hier neben dem Rückgewähranspruch in natura (oder in Form von Wertersatz) nur möglich, wenn der Anfechtungsgegner über die gewährte Nutzungsmöglichkeit hinausgehende Nutzungen gezogen hat. Nutzungen können auch als Teil eines Schadensersatzanspruchs zu ersetzen sein, etwa wenn der Anfechtungsgegner mit der Rückgewähr in natura in Verzug ist (siehe hierzu unten unter Rn. 81).
Rn 71
Eine Anspruchskonkurrenz kann sich insbesondere ergeben, wenn der Schuldner dem Anfechtungsgegner in anfechtbarer Weise Geld überlassen hat. Dass in diesen Fällen den Anfechtungsgegner – neben der Rückgewähr der Hauptsumme – auch eine Verzinsungspflicht trifft, ist unstreitig. Diese Verpflichtung kann sich zum einen aus § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 291 BGB (Prozesszinsen) und zum anderen aus § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 987 BGB (Nutzungsersatz) ergeben. Beide Ansprüche ste...