Rn 100
War der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung im Hinblick auf die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Vermögensverschiebung bösgläubig, kommt ihm die Privilegierung nach § 143 Abs. 2 Satz 1 nicht zugute. Er haftet dann ebenso wie der Empfänger einer entgeltlichen Leistung (§ 143 Abs. 2 Satz 2). Bösgläubig ist der Anfechtungsgegner bei positiver Kenntnis oder wenn er "nach den Umständen wissen muss", dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt. Bezugspunkte der Bösgläubigkeit sind dabei sowohl die Unentgeltlichkeit der Leistung als auch die gläubigerbenachteiligende Wirkung.
Rn 101
Wann allerdings die Schwelle zur fahrlässigen Unkenntnis überschritten ist, ist fraglich. Die KO privilegierte in § 37 Abs. 2 seinerzeit den "gutgläubigen Empfänger". Angelehnt an die Definition in § 932 Abs. 2 BGB schadete der damaligen h. L. zufolge nur die grob fahrlässige Unkenntnis. Die Rechtsprechung ließ hingegen bereits jede Art von Fahrlässigkeit genügen. Die Neuformulierung in § 143 Abs. 2 Satz 2 spricht nun von "wissen müssen". Das legt im Hinblick auf die wortgleiche Formulierung in § 122 Abs. 2 BGB nahe, dass nunmehr auch die einfache Fahrlässigkeit i. S. v. § 276 Abs. 2 BGB ausreicht. Hiergegen wird eingewandt, dass es sich bei der Formulierung um ein Redaktionsversehen handele; denn aus den Gesetzesmaterialien – so diese Ansicht – folge nicht, dass die Wortwahl auf einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung beruhe. Vielmehr ging der Gesetzgeber in den Materialien (auch weiterhin) von dem Erfordernis der groben Fahrlässigkeit aus. Für diese letztgenannte Ansicht sprechen auch systematische Erwägungen. § 143 Abs. 2 Satz 2 will – unter bestimmten Voraussetzungen – einen Gleichklang mit § 143 Abs. 1 herstellen. Dies legt es aber nahe, das Merkmal "wissen müssen" ähnlich auszulegen wie das Merkmal "nicht im guten Glauben" in § 990 Abs. 1 BGB.
Rn 102
Folgt man der hier vertretenen Ansicht, ist die Schwelle zum "wissen müssen" überschritten, wenn dem Anfechtungsgegner Umstände bekannt sind, die mit auffallender Deutlichkeit dafür sprechen, dass die Befriedigungschancen der Gläubiger infolge der Freigiebigkeit verkürzt werden, und wenn die Kenntnis dieser Umstände auch aus Sicht eines Empfängers mit durchschnittlichem Erkenntnisvermögen die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung nahe legt, ohne dass es der gründlichen Überlegung bedarf. Fällt das Überschreiten dieser Schwelle in den Zeitraum nach Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung bis hin zum Eintritt der Unmöglichkeit der Rückgewähr, so wandelt sich die privilegierte Haftung ex nunc in eine solche nach § 143 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1. Gleiches gilt, wenn es nachträglich zum Eintritt der Rechtshängigkeit kommt (entsprechend § 818 Abs. 4 BGB).