Rn 53
In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (COMI) bestimmt (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO). Bei Verbrauchern ist grundsätzlich nicht auf den Wohnsitz, sondern auf den tatsächlichen Aufenthaltsort abzustellen. Damit sind bei der Gewährung der Restschuldbefreiung die Regelungen dieses Staates anzuwenden.
Rn 54
Im Geltungsbereich der EUInsVO bestehen keine einheitlichen Regelungen zur Restschuldbefreiung. Belgien, Österreich, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, England und Wales, Irland, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Deutschland kennen die Restschuldbefreiung in verschiedenen Formen, dagegen nicht Griechenland, Italien (Vergleich zwischen Schuldner und Gläubiger – "concordatio preventivo" u. "concordatio fallimente"), Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Spanien (Vergleich zwischen Schuldner und Gläubiger möglich), Tschechien und Ungarn. Beispielsweise ist es in England und Wales möglich, Restschuldbefreiung binnen zwölf Monaten zu erlangen, in Frankreich binnen sechs bis 18 Monaten. In Österreich hängt die Restschuldbefreiung davon ab, dass eine Eröffnung des Verfahrens erfolgt und einschließlich aller Verfahrenskosten eine Quote von 50 % nach drei Jahren bzw. von 10 % nach sieben Jahren erfüllt wird (§ 213 KO-Österreich). Wird die Mindestquote auch binnen zehn Jahren nicht erreicht, findet eine Restschuldbefreiung nicht statt. Dänemark hat die EuInsVO nicht ratifiziert.
Rn 55
Beispiel Frankreich – Elsass/Lothringen: Schon aufgrund der örtlichen Nähe übt das Elsass wegen des kurzen Verbraucherinsolvenzverfahrens und der mit Abschluss des Insolvenzverfahrens sofort eintretenden Restschuldbefreiung eine besondere Anziehung auf Schuldner in den südwestlichen Bundesländern aus. In Elsass-Lothringen (Dep. 57, 67, 68) können aufgrund einer Weitergeltung alten Konkursrechts (Art. 23 Gesetz vom 1.6.1924 i. V. m. Art. L. 670-1 bis 670-8 Code de commerce) auch natürliche Personen, die nicht Kaufleute, Freiberufler, Handwerker oder Landwirte sind, ein "Faillite-civile" Verfahren beantragen. Voraussetzungen sind neben dem Lebensmittelpunkt (Ausländer: Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen – COMI) im Bezirk des zuständigen Landgerichts (Tribunal de Grande Instance – Chambre Civile) die andauernde (notorische) Zahlungsunfähigkeit und die Redlichkeit (Gutgläubigkeit).
Rn 56
Eine nach ordnungsgemäßer Verfahrensabwicklung im Ausland, insbesondere in den Staaten der EU erfolgte Entschuldungswirkung tritt auch in Deutschland ein und ist anzuerkennen. Ausnahmen können sich nur dann ergeben, wenn der Schuldner als Antragsteller sich die Eröffnungszuständigkeit des ausländischen Gerichts erschleicht oder es sich um Forderungen von Gläubigern handelt, die aus der Begehung von Straftaten des Schuldners resultieren. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 18.9.2001 eine genaue Untersuchung der tatsächlichen Verhältnisse als notwendig erachtet. In dem entschiedenen Fall hatte der Schuldner seinen Wohnsitz im französisch-elsässischen Grenzgebiet, arbeitete in Deutschland und fuhr ein dort auf seinen Bruder in Rastatt zugelassenes Kraftfahrzeug. Das elsässische Konkursgericht hatte seine örtliche Zuständigkeit festgestellt. Damit sei diese Frage einer Entscheidung eines deutschen Gerichts bereits entzogen gewesen. Aber auch außerhalb der EU z. B. in den USA ("discharge") oder in Japan kann Restschuldbefreiung erlangt werden.
Rn 57
Ob eine Entschuldungswirkung durch eine in einem Drittstaat gewährte Restschuldbefreiung gelten kann, ist fraglich. In Bezug zu Staaten, die nicht zum Gebiet der EU gehören, gelten allgemein die §§ 335 ff. Sie gelten auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren und die Restschuldbefreiung, da durch § 355 Abs. 1 lediglich für Partikularinsolvenzverfahren die Anwendung von §§ 286 ff. ausdrücklich ausgeschlossen wird. Die §§ 335 ff. sollten auch die durch die EuInsVO entstandene Lücke schließen. Die Anerkennung der Entscheidungen der ausländischen Gerichte richtet sich nach § 343. Danach werden Entscheidungen nur anerkannt, wenn das Gericht nach deutschem Recht international zuständig ist (§ 343 Abs. 1 Nr. 1; § 4, § 13 ZPO) und "universell" das gesamte Vermögen des Schuldners erfasst, für die konkrete Rechtsfolge Auslandsgeltung beansprucht und nach dem ausländischen Recht wirksam vollziehbar ist. Ob eine missbräuchliche Sitzverlegung stattgefunden hat oder das angegangene Gericht über die Grundlagen der Zuständigkeit getäuscht wurden, richtet sich danach, ob ein Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung ("ordre public") vorliegt (§ 343 Abs. 1 Nr. 2).
Rn 58
Gegen eine Restschuldbefreiung im Ausland kann nach der EuInsVO und § 343 Abs. 1 Nr. 2 nur der Einwand erhoben werden, durch die dortigen Vorschriften und Rechtsanwendung würde die deutsche öffentliche ...