Rn 19
Die vom Schuldner während der Wohlverhaltensperiode auszuübende Erwerbstätigkeit muss angemessen sein. Nach h. M. ist "Angemessenheit" entsprechend dem in § 1574 Abs. 2 BGB ebenfalls verwendeten Begriff zu verstehen und auszulegen. Insoweit existiert bereits eine umfangreiche Rechtsprechung. Danach ist eine Erwerbstätigkeit angemessen, die
- der Ausbildung,
- den Fähigkeiten,
- einer früheren Erwerbstätigkeit,
- dem Lebensalter und
- dem Gesundheitszustand
des Schuldners entspricht, soweit eine solche Tätigkeit nicht nach den Lebensverhältnissen unbillig wäre.
Rn 20
Eine angemessene Erwerbstätigkeit setzt auch eine für die Tätigkeit und die Fähigkeiten des Schuldners angemessene Bezahlung voraus. Der Schuldner darf deshalb nicht versuchen, zu Lasten der Gläubiger mit dem Arbeitgeber nicht bezahlte Sondervorteile zu vereinbaren oder Teile der Einkünfte Dritten zugutekommen lassen. Der Schuldner darf auch in einem Arbeitsvertrag (Anstellung bei einem Bekannten/Verwandten als 2. Geschäftsführer) nicht einen geringeren Lohn vereinbaren, als er im Vergleich zu einem anderen Beschäftigten des Unternehmens bei ansonsten gleichlautenden Anstellungsverträgen und Beschäftigungsbedingungen hätte erzielen können.
Rn 21
Grundsätzlich soll eine Vermutung dafür bestehen, dass die vom Schuldner ausgeübte Tätigkeit angemessen ist.
Rn 22
Dem Schuldner ist es nicht untersagt, einer angemessenen Erwerbstätigkeit im Ausland, insbesondere in den Staaten der EU, in denen die EuInsVO gilt, aufzunehmen und auszuüben. Problematisch ist allerdings die Tatsache, dass beispielsweise gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und den osteuropäischen Staaten ein erhebliches Lohngefälle besteht, das unter Berücksichtigung inländischer Pfändungsfreigrenzen in nur wenigen Fällen zu einer Abführung pfändbarer Beträge führen würde. Andererseits kann ein Schuldner in einem Niedriglohnland auch mit einem wesentlich geringeren Einkommen einen durchaus zufriedenstellenden Lebensstandard aufrechterhalten. Zu unterscheiden ist zwischen einer absichtlichen "Flucht" zum Nachteil einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung und dem Vorliegen persönlicher, familiärer Gründe z. B. Ehe mit einem ausländischen Partner oder der Umzug als einzige Möglichkeit überhaupt einen Arbeitsplatz zu erhalten. Die letztgenannten Sachverhalte können wohl im Rahmen der grundsätzlichen Freizügigkeit nicht als Pflichtverletzung angesehen werden. In jedem Fall wird eine Antragstellung und Glaubhaftmachung eines Versagungsgrundes für die Gläubiger erheblich erschwert. Soweit im Ausland ebenfalls den dort herrschenden Verhältnissen angepasste Pfändungsbeschränkungen bestehen, sind diese anzuwenden und vom Schuldner die pfändbaren Überschüsse an den Treuhänder zu überweisen.
Rn 23
Im Falle einer vorhandenen Erwerbstätigkeit muss der Schuldner alles tun, um der Tätigkeit in vollem Umfang nachgehen zu können und alles unterlassen, was die Tätigkeit gefährden könnte. Dies betrifft zunächst die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit, auch durch Krankheitsvorsorge, aber auch Enthaltung von Drogen- und Alkoholmissbrauch mit der Gefahr des Arbeitsplatzverlustes.
Rn 24
Wählt ein verheirateter Schuldner in Gläubigerbenachteiligungsabsicht eine ungünstigere Steuerklasse, die dazu führt, dass ein pfändungsfreier Betrag nicht vorhanden ist, kann er bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags so behandelt werden, als seien seine Einkünfte nach der für die Gläubiger günstigeren Steuerklasse zu versteuern. Dies gilt auch ohne Benachteiligungsabsicht, wenn der Schuldner ohne sachlich rechtfertigenden Grund im folgenden Jahr wieder die ungünstigere Steuerklasse wählt. Wählt der Schuldner ohne sachlichen Grund die für die Gläubiger ungünstigere Steuerklasse, die seinen Ehegatten günstiger stellt, verletzt er seine Obliegenheit gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1. So ist dem Schuldner in Hinblick auf die Verfahrenskostenstundung zuzumuten, in die Steuerklasse IV zu wechseln, um sein liquides Einkommen zu erhöhen, wenn er ohne einen sachlichen Grund die Steuerklasse V gewählt hat, um seinem nicht insolventen Ehegatten die Vorteile der Steuerklasse III zukommen zu lassen. Umgekehrt besteht keine Verpflichtung des Ehegatten des Schuldners, eine Steuerklasse zu wählen, die für ihn nachteiliger ist.
Rn 25
Die Begehung von schwerwiegenden Straftaten durch den Schuldner während der Wohlverhaltensperiode, die zu einem Freiheitsentzug, Verlust des Arbeitsplatzes und Pfandlosigkeit für einen erheblichen Teil, unter Umständen sogar für die ganze Wohlverhaltensperiode führen, stellt ebenfalls eine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 dar, wenn der Schuldner dadurch keine Beträge zur Verteilung an die Gläubiger abführen kann. Die Tatsache der Inhaftierung und der Verlust des Arbeitsplatzes des Schuldners entbindet einen antragstellenden Gläubiger nicht von der Verpflichtung, den Verstoß des Schuldners gegen die Erwerbsobliegenheit und die daraus folgende konkrete Beeinträchtigung der Befriedig...