Gesetzestext
(1) Im Partikularverfahren sind die Vorschriften über die Restschuldbefreiung nicht anzuwenden.
(2) Ein Insolvenzplan, in dem eine Stundung, ein Erlass oder sonstige Einschränkungen der Rechte der Gläubiger vorgesehen sind, kann in diesem Verfahren nur bestätigt werden, wenn alle betroffenen Gläubiger dem Plan zugestimmt haben.
1. Überblick
Rn 1
§ 355 InsO enthält besondere Bestimmungen in Bezug auf die Durchführung eines Restschuldbefreiungsverfahrens sowie eines Insolvenzplanverfahrens, die im Falle der Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens i. S. d. § 354 InsO anzuwenden sind. Diese Bestimmungen sind auch auf Sekundärinsolvenzverfahren nach § 356 InsO anzuwenden. Während in § 355 Abs. 1 InsO die Anwendung der Normen bezüglich der Restschuldbefreiung ausgeschlossen wird, sieht Abs. 2 die Erforderlichkeit der Zustimmung aller betroffenen Gläubiger für die Bestätigung eines Insolvenzplans vor.
Rn 2
Der Regelungsgehalt des § 355 InsO entspricht Art. 34 Abs. 2 EuInsVO, wonach jede Beschränkung der Rechte der Gläubiger, die sich aus einer in einem Sekundärinsolvenzverfahren vorgeschlagenen Maßnahme ergibt, der Zustimmung der betroffenen Gläubiger bedarf.
Rn 3
Der Zweck dieser Sonderregelungen für Partikularinsolvenzverfahren besteht in einer materiell-rechtlichen Bestandgarantie der gegen den Schuldner gerichteten Forderungen. Sowohl die Restschuldbefreiung als auch ein Insolvenzplan stellen einen Eingriff in die Rechte der Gläubiger dar. Problematisch ist zudem, dass dieser Eingriff zwingend grenzüberschreitend wirken sollte, denn materiell-rechtliche Beschränkungen von Forderungen sind nicht territorial begrenzbar. Somit würde eine grenzüberschreitende Beschränkung der Gläubigerforderungen im Widerspruch zu dem territorial beschränkten Anwendungsbereich des Sekundärinsolvenzverfahrens stehen.
Rn 4
Bei § 355 InsO handelt es sich um eine einseitige Sachnorm, die keine Anwendung auf ausländische Partikular- oder Sekundärinsolvenzverfahren findet.
2. Verbot der Restschuldbefreiung
Rn 5
Nach § 355 Abs. 1 InsO sind im Partikularverfahren die Vorschriften der InsO über die Restschuldbefreiung, d. h. die §§ 286 bis 303 InsO, nicht anzuwenden. Es gilt somit der Grundsatz der unbeschränkten Nachhaftung des Schuldners gemäß § 201 Abs. 1 InsO. Ein entgegenstehender Antrag des Schuldners nach § 287 Abs. 1 InsO ist abzuweisen.
Rn 6
Grund hierfür ist, zusätzlich zu dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 355 InsO (siehe oben Rn. 3), dass die Restschuldbefreiung den Gläubigern nur dann zugemutet werden kann, wenn das gesamte Vermögen des Schuldners bereits verwertet wurde, was im Falle eines Territorialinsolvenzverfahrens per definitionem nicht der Fall ist. Ferner würde die Abtretung i. S. d. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO der Beschlagnahmewirkung eines eventuellen Hauptinsolvenzverfahrens entgegenstehen und könnte durch dessen Verwalter angefochten werden.
3. Bestätigung eines Insolvenzplans
Rn 7
Nach § 355 Abs. 2 InsO kann ein Insolvenzplan, in dem eine Stundung, ein Erlass oder sonstige Einschränkungen der Rechte der Gläubiger vorgesehen sind, in einem Partikularinsolvenzverfahren nur bestätigt werden, wenn alle betroffenen Gläubiger dem Plan zugestimmt haben. § 355 Abs. 2 InsO normiert mithin eine Ausnahme zu den Regelungen des § 245 InsO bezüglich des Obstruktionsverbots.
Rn 8
Ein Insolvenzplan ist somit im Partikularinsolvenzverfahren grundsätzlich zulässig. In aller Regel sollte jedoch die Zustimmung aller betroffenen Gläubiger nicht vorhanden sein, sodass die praktische Bedeutung des Insolvenzplans in Partikularinsolvenzverfahren begrenzt sein dürfte.