Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 2
Die Vorschrift gilt, falls die Insolvenzmasse irgendwie betroffen ist (dazu sogleich), nicht nur für zivilprozessuale Klageverfahren jeder Art (Leistungs-, Feststellungs-, Gestaltungs- und Unterlassungsklagen) und in jedem Rechtszug, sondern (entsprechend) auch für Mahnverfahren (ab Zustellung des Mahnbescheids), Verfahren zur Erwirkung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, für Kostenfestsetzungs- und Beschwerdeverfahren, ferner in arbeits-, sozial-, verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. § 202 SGG, § 173 VwGO, § 155 FGO), bei Patentnichtigkeitsklagen (§ 99 Abs. 1 PatG), schließlich in außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (Widerspruchs-, Einspruchsverfahren). Umstritten ist die Anwendbarkeit des § 240 ZPO in Prozesskostenhilfeverfahren und in selbständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO); die h.M. verneint sie jeweils. Unanwendbar ist § 240 ZPO in Zwangsvollstreckungsverfahren, in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (ausgenommen die echten Streitverfahren) und in Schiedsverfahren (vgl. § 1042 Abs. 4 ZPO). Jedoch muss das Schiedsgericht durch geeignete Maßnahmen (etwa Aussetzung des Verfahrens, Fristverlängerung, Wiedereinsetzung) das Recht des Insolvenzverwalters auf rechtliches Gehör, wozu auch eine gewisse Einarbeitungszeit gehört, wahren, will es nicht eine Aufhebung des Schiedsspruchs nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1b, Nr. 2b ZPO riskieren.
Ausnahmsweise kann es auch zur Unterbrechung eines Prozesses kommen, an dem der Insolvenzschuldner gar nicht beteiligt ist. So liegt es bei § 17 AnfG. Die Vorschrift ist entsprechend anwendbar in den Fällen des § 171 Abs. 2 HGB und der §§ 92, 93, 280, wenn während des Rechtsstreits zwischen einem Gesellschaftsgläubiger und einem Gesellschafter oder dem nach § 92 haftenden Dritten das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird.
Rn 3
Eine Unterbrechung tritt nach § 240 ZPO nur ein, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache die Insolvenzmasse betrifft. Daran fehlt es bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten, z.B. Ehe- und Kindschaftsprozessen, ferner bei Prozessen über unpfändbare Gegenstände (vgl. § 36 Abs. 1) oder über Gegenstände, die der Insolvenzverwalter schon vor der Rechtshängigkeit freigegeben hatte. Prozesse über familienrechtliche Unterhaltsansprüche gegen den Insolvenzschuldner betreffen wegen § 40 Satz 1 die Insolvenzmasse (grundsätzlich) nur, wenn die Ansprüche bei Insolvenzeröffnung bereits fällig waren. Unterlassungsstreitigkeiten werden unterbrochen, wenn mit der Klage die Beeinträchtigung eines in die Insolvenzmasse fallenden Unternehmens des Insolvenzschuldners verhindert oder die von einem solchen Betrieb ausgehende Störung eines konkurrierenden Unternehmens, z.B. durch wettbewerbswidrige Anpreisungen, verhindert werden soll, nicht aber dann, wenn es um die Untersagung von ehrenrührigen Behauptungen des Insolvenzschuldners geht, die mit dessen Gewerbebetrieb oder sonstiger Vermögenssphäre nicht zu tun haben. Patentnichtigkeitsklagen betreffen die Insolvenzmasse stets, wenn sie gegen den nachmaligen Insolvenzschuldner als Patentinhaber erhoben wurden. Bei vom späteren Insolvenzschuldner erhobenen Nichtigkeitsklagen ist die Masse jedenfalls dann betroffen, wenn die Klage auf widerrechtliche Entnahme gestützt ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 3, § 22 Abs. 1, § 81 Abs. 3 PatG) oder dem Schutz eines sonstigen zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstands, insbesondere des Gewerbebetriebs des Insolvenzschuldners, dient. Verfahren, in denen der Insolvenzschuldner auf Auskunftserteilung oder Rechnungslegung verklagt ist, werden unterbrochen, wenn die erstrebte Auskunft Hilfsmittel zur Durchsetzung eines die Insolvenzmasse betreffenden Hauptanspruchs, also des Anspruchs eines Aus- oder Absonderungsberechtigten, eines Masse- oder Insolvenzgläubigers, ist.
Betrifft ein Verfahren die Masse nur teilweise, so wird es nach zutreffender, aber umstrittener Ansicht auch nur insoweit unterbrochen (Beispiel: objektive Häufung einer die Insolvenzmasse betreffenden Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen einer zurück liegenden schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung mit einer nicht die Insolvenzmasse betreffenden Klage auf Unterlassung solcher Persönlichkeitsrechtsverletzungen). Anders soll es liegen (also Unterbrechung des gesamten Rechtsstreits), wenn derselbe Anspruch, z.B. ein Unterlassungsanspruch, sowohl die Insolvenzmasse als auch die insolvenzfreie Rechtsstellung des Insolvenzschuldners betrifft (zweifelhaft).
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines einfachen Streitgenossen führt nur zur Unterbrechung des Verfahrens gegen diesen Streitgenossen. Bei einem Insolvenzverfahren gegen einen notwendigen Streitgenossen (§ 62 ZPO) nahm die früher herrschende Meinung dagegen eine Unterbrechung der Verfahren aller Streitgenossen an. Inzwischen dürfte aber die Ansicht herrschend geworden sein, die Verfahren der übrigen, also der nicht in ein ...