Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 5
Nach dem Wortlaut des § 85 muss als Voraussetzung für eine Aufnahme nach dieser Vorschrift für den Schuldner ein Rechtsstreit anhängig (genauer: rechtshängig) sein. Erforderlich ist also zunächst, dass der Schuldner in dem betreffenden Verfahren die Rolle einer Partei eingenommen hat, d.h., die Stellung eines (nicht streitgenössischen) Nebenintervenienten, gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten genügt hierfür nicht. Er muss aktiv, d.h. als Anspruchsteller im Verfahren ein dem Insolvenzbeschlag unterliegendes Vermögensrecht geltend machen. Zur Ermittlung dieses Umstands ist nicht auf die formale Parteirolle abzustellen, d.h., es ist unerheblich, ob der Schuldner als Kläger oder Beklagter fungiert. Entscheidend ist nur, ob Vermögensrechte für den Schuldner – sei es auch nur anteilig (so in den Fällen der § 432 Abs. 1, § 1011, § 2039 BGB) oder mittelbar (so, wenn der spätere Insolvenzschuldner eine Forderung während des Prozesses erfüllungshalber abgetreten hat und nach § 265 Abs. 2 ZPO prozessführungsbefugt geblieben ist) – in Anspruch genommen werden, wenn also um eine Leistung gestritten wird, die ein Aktivum der Insolvenzmasse bilden würde (sog. Teilungsmassestreit). So handelt es sich um einen Aktivprozess, wenn der (spätere) Insolvenzschuldner Beklagter einer negativen Feststellungsklage oder einer Zwangsvollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) ist. Denn es geht hier um die Verteidigung eines Anspruchs (oder der Möglichkeit seiner Vollstreckung), der, wenn er bestünde, zur Insolvenzmasse gehören würde. Es kann auch ein als Passivprozess gestartetes Verfahren in einen Aktivprozess umschlagen, wenn der in unterer Instanz zur Zahlung verurteilte spätere Insolvenzschuldner zwecks Abwendung der Vollstreckung gezahlt hat oder wenn gegen ihn erfolgreich vollstreckt worden ist und es deshalb in der höheren Instanz der Sache nach nur darum geht, ob der gezahlte Betrag zur Masse zurückzuerstatten ist. Umgekehrt wird aus einem Aktivprozess ein Passivprozess, wenn der auf Klage des (nachmaligen) Insolvenzschuldners vorläufig vollstreckbar verurteilte Prozessgegner zunächst gezahlt hat oder gegen ihn erfolgreich vollstreckt worden ist und er jetzt einen Ersatz- oder Bereicherungsanspruch nach § 717 Abs. 2 oder 3 ZPO geltend macht (oder geltend machen könnte). Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um einen Aktivprozess oder einen Passivprozess handelt, ist die Sachlage im Zeitpunkt der Unterbrechung (näher zu diesem Zeitpunkt in Rn. 6). Derselbe Rechtsstreit kann teils Aktivprozess und teils Passivprozess sein, z.B. bei Klage des (nachmaligen) Insolvenzschuldners auf eine in die Masse fallende Leistung und Widerklage des Prozessgegners auf eine aus der Masse zu erbringende Leistung, aber auch bei Anträgen derselben Partei (Beispiel: Anträge auf Rückerstattung eines angeblich zu Unrecht gezahlten Betrags in die Insolvenzmasse und auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, aus dem sich weitere Ansprüche der Gegenpartei ergeben würden).
Rn 6
Dieser die Insolvenzmasse berührende Rechtsstreit des Schuldners muss im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3) oder wegen der in § 24 Abs. 2 enthaltenen Verweisung bei Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 im Eröffnungsverfahren anhängig sein. Erforderlich ist also, dass zu den genannten Zeitpunkten unter Beteiligung des Schuldners ein Prozessrechtsverhältnis besteht, z.B. im Mahnverfahren der Mahnbescheid zugestellt ist. Für die Feststellung des Zeitpunkts ist auf den Eintritt der Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO abzustellen, die unabhängig von der Rechtskraft und der Zustellung des Eröffnungsbeschlusses und einer Kenntnis der Parteien bzw. des Gerichts entsteht.
Rn 7
Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Insolvenzverwalter den Rechtsstreit aufnehmen, d.h., die Aufnahme liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen..In Wahrnehmung seiner Verwaltungsbefugnis wird er also sorgfältig die Erfolgsaussichten des unterbrochenen Rechtsstreits und insbesondere das damit für die Insolvenzmasse verbundene Kostenrisiko zu prüfen haben. Er wird in diesem Fall auch die Regelung in § 160 Abs. 2 Nr. 3 zu beachten haben, wonach bei einem Rechtsstreit mit erheblichem Streitwert seine Entscheidung der Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung bedarf. Bei der Beurteilung des ansonsten vom Gesetzgeber nicht näher erläuterten Kriteriums der Erheblichkeit wird zweckmäßigerweise auf den Umfang der voraussichtlichen Insolvenzmasse im Verhältnis zum Wert des streitbefangenen Gegenstands und des mit dem Rechtsstreit insgesamt verbundenen Kostenrisikos abzustellen sein. Allgemein gültige Kriterien hierfür lassen sich kaum aufstellen.
Rn 8
Die Aufnahme erfolgt nach § 250 ZPO durch Zustellung eines bei Gericht einzureichenden Schriftsatzes; der Schriftsatz ist der anderen Partei von Amts wegen zuzustellen (§ 166 A...