Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 3
Der Begriff der "Zwangsvollstreckungen" in § 89 ist weiter als der entsprechende Begriff in § 88. Unter den Begriff fallen bei § 89 – insoweit übereinstimmend mit § 88 (siehe dort Rn. 5) – zunächst alle Vollstreckungsakte, die zu einer Sicherung für die Forderung des Insolvenzgläubigers führen würden, wenn es § 89 nicht gäbe, also Pfändungen von Gegenständen des beweglichen Vermögens durch den Gerichtsvollzieher bzw. das Vollstreckungsgericht (§§ 803 ff. ZPO), Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen gemäß §§ 864 ff. ZPO (bei Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung i.V.m. den Vorschriften des ZVG) und die Vollziehung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung (§§ 928 ff. ZPO), z.B. einer auf Eintragung einer Vormerkung gerichteten einstweiligen Verfügung (§ 885 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB). Nach h.M. ist nicht nur die Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung, sondern auch schon deren Anordnung durch § 89 verboten. Dem ist trotz des an sich zutreffenden Hinweises von Jauernig, der der Prüfung der Arrest- oder Verfügungsvoraussetzungen dienende Prozess sei eine Art "summarisches Erkenntnisverfahren", zuzustimmen. Denn die Verfahren dienen der "Sicherung der Zwangsvollstreckung" (§ 916 Abs. 1 ZPO; ähnlich für die Sicherungsverfügung § 935 ZPO), und in ihnen ist der Mangel an Gründlichkeit bei der Prüfung des materiell-rechtlichen Anspruchs (vgl. § 920 Abs. 2, § 936 ZPO) durch eine spezifisch vollstreckungsrechtliche Voraussetzung, den Arrest- bzw. Verfügungsgrund (§§ 917, 918, 935 ZPO), ersetzt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine Vorpfändung wegen der ihr durch § 845 Abs. 2 ZPO beigelegten Wirkung ebenso unzulässig wie eine Pfändung; diese auch dann, wenn ihr eine vor Verfahrenseröffnung erfolgte Vorpfändung vorausgegangen war. An § 89 Abs. 1 scheitert auch die Heilung einer fehlerhaften (verfrühten) Pfändung, wenn die Pfändung zwar vor Verfahrenseröffnung (und vor Beginn der Sperrfrist des § 88) vorgenommen worden ist, die fehlenden Vollstreckungsvoraussetzungen (§§ 750, 751, 798 ZPO) aber erst nach Verfahrenseröffnung nachgeholt worden sind. § 89 gilt auch für die Verwaltungsvollstreckung wegen Steuer- oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Forderungen und für die Vollziehung eines strafprozessualen dinglichen Arrestes nach § 111d StPO.
Rn 4
Anders als § 88 betrifft § 89 auch Vollstreckungsmaßnahmen, die nicht unmittelbar zu einer "Sicherung" führen (können), z.B. die Erwirkung einer eidesstattlichen Versicherung nach §§ 899 ff. i.V.m. § 807 Abs. 3, § 836 Abs. 3, § 883 Abs. 2 ZPO zwecks Durchsetzung einer Insolvenzforderung. Ein Antrag des Gläubigers auf Terminsbestimmung nach § 900 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist zurückzuweisen. Ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassener Haftbefehl darf während des Insolvenzverfahrens nicht vollstreckt werden, und ein bereits verhafteter Schuldner ist von Amts wegen freizulassen, weil die Fortdauer der Haft eine Fortsetzung der mit Verfahrenseröffnung unzulässig gewordenen Zwangsvollstreckung bedeutet. Wohl aber kann der Gläubiger einen Antrag nach § 153 Abs. 2 InsO an das Insolvenzgericht stellen (Ladung des Insolvenzschuldners zwecks eidesstattlicher Versicherung der Vollständigkeit der Vermögensübersicht). § 89 Abs. 1 erfasst nicht nur die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung, sondern auch die Vollstreckung von Ansprüchen, die auf Herausgabe einer Sache (§§ 883 ff. ZPO) oder auf Vornahme einer vertretbaren Handlung (§ 887 ZPO) gerichtet sind, sofern es sich um Insolvenzforderungen handelt.
Rn 5
Nicht betroffen von § 89 ist die Vollstreckung von Ansprüchen auf Vornahme von nicht vertretbaren (z.B. künstlerischen) Handlungen durch den Insolvenzschuldner (§ 888 ZPO) oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung aufgrund von Vorschriften des bürgerlichen Rechts (z.B. §§ 259 f. BGB) durch diesen (§ 889 ZPO), da es sich hierbei nicht um Insolvenzforderungen handelt. Ebenfalls i.d.R. keine Insolvenzforderungen und deshalb nicht von § 89 Abs. 1 betroffen sind Unterlassungsansprüche. Sie begründen ein Aussonderungsrecht, wenn sie der Verteidigung eines (im Fall seines Bestehens) aussonderungsfähigen Rechts dienen, oder sie führen zu einer nur den Insolvenzschuldner persönlich treffenden Verbindlichkeit oder zu einer Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1), je nachdem, ob der Insolvenzschuldner oder der Insolvenzverwalter, z.B. bei der Fortführung eines Unternehmens des Insolvenzschuldners, ein Unterlassungsgebot verletzt hat. Ein auf die Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 ZPO gestützter Erwerb des Prozessgegners wird als rechtsgeschäftlicher Erwerb, nicht als Erwerb kraft Vollstreckung behandelt (vgl. § 898 ZPO). § 89 Abs. 1 würde einen solchen Erwerb also nicht behindern. Wohl aber verhindert § 240 i.V.m. § 249 ZPO, dass ein bei Insolvenzeröffnung noch nicht rechtskräftiges Urteil während des Insolvenzverfahrens Rechtskraft erlangt. Dem Pr...