Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 13
Den modernen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird des Weiteren durch § 99 Abs. 2 Rechnung getragen. Dort wird ausdrücklich die Befugnis des Verwalters hervorgehoben, die ihm nach Abs. 1 zugeleiteten Sendungen zu öffnen. Eine solche zunächst als selbstverständlich erscheinende ausdrückliche Regelung ist notwendig, da der Schutzbereich des Grundrechts nach Art. 10 Abs. 1 GG nicht schon durch die Zuleitung der Postsendungen an den Verwalter, sondern erst mit Kenntnisnahme von deren Inhalt verletzt wird. Der eigentliche Grundrechtseingriff erfolgt daher erst mit Öffnung der Postsendungen durch den Verwalter. Mit dieser Öffnungsbefugnis korrespondiert naturgemäß auch eine Befugnis des Verwalters, von dem Inhalt der ihm vorliegenden Postsendungen Kenntnis zu nehmen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ihm etwa versehentlich durch die Post AG auch Sendungen zugeleitet wurden, auf die sich im Einzelfall die Postsperre nicht erstreckte, da Abs. 2 danach nicht differenziert. Der Verwalter ist also berechtigt, von allen ihm zugeleiteten Schriftstücken Kenntnis zu nehmen.
Rn 14
Dabei besteht auch keine Einschränkung für Postsendungen, die nach ihrem äußeren Anschein offensichtlich den Schuldner nur privat betreffen. Zum einen können sich gerade aus dieser Privatpost oft wertvolle Hinweise auf bislang noch nicht entdeckte Vermögensgegenstände ergeben, die der Schuldner ggf. im Zusammenwirken mit Freunden und Verwandten beiseite zu schaffen versucht; zum anderen wäre es in diesem Fall ein leichtes, die mit der Postsperre beabsichtigten Wirkungen zu umgehen, indem wichtigen und vertraulichen Mitteilungen an den Schuldner der äußere Anschein von "Privatpost" verliehen wird. Die mit der Verhängung der Postsperre verbundene Hilfestellung für den Verwalter bei seiner Aufklärungsarbeit kann nur entstehen, wenn der Verwalter weitestgehende Möglichkeiten erhält, auch die an den Schuldner gerichtete Privatpost einzusehen und von deren Inhalt Kenntnis zu nehmen. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei dem Schuldner um jemanden handelt, der z.B. als Arzt oder Rechtsanwalt gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegt. In diesem Fall muss dem Verwalter zumindest die Möglichkeit zustehen, nach Öffnen der Post selbst zu beurteilen, ob sich darin vertrauliche Patienteninformationen befinden, die in diesem Fall umgehend und ohne weitere Auswertung an den Schuldner weiterzuleiten sind, oder ob sich daraus beispielsweise Hinweise auf noch bestehende Honorarforderungen eines Arztes ergeben. Nur bei einer solchen Betrachtungsweise ist dem Verwalter überhaupt die Entscheidung möglich, ob die betreffende Postsendung einen Bezug zur Insolvenzmasse aufweist oder nicht.
Rn 15
Diese Entscheidungsnotwendigkeit ergibt sich aus Abs. 2 Satz 2, da Postsendungen ohne Bezug zur Insolvenzmasse dem Schuldner unverzüglich zuzuleiten sind, d.h., der Verwalter hat ohne schuldhaftes Zögern für eine Weiterleitung an den Schuldner zu sorgen. Dabei wird er auch Vorkehrungen zu treffen haben, dass die weitergeleitete Post den Schuldner auch tatsächlich erreicht, da erfahrungsgemäß die mit der Postverteilung befassten Stellen zwischen normaler Post und Post des Insolvenzgerichts bzw. -verwalters kaum trennen. In diesem Fall hat der Verwalter entweder unübersehbare Hinweise auf die Pflicht zur Weiterleitung der Post an den Schuldner anzubringen oder notfalls andere Zustellwege auf Kosten der Insolvenzmasse wahrzunehmen.
Rn 16
Besteht dagegen ein Insolvenzbezug, ergibt sich hinsichtlich dieser Postsendungen aus Abs. 2 Satz 2 ein Besitzrecht des Verwalters an diesen Postsendungen für die Dauer des Insolvenzverfahrens. Dies gilt auch, soweit die Postsendung nur am Rande oder vereinzelt Hinweise auf die Insolvenzmasse enthält. In diesem Fall steht dem Schuldner nach der weiteren ausdrücklichen Regelung in Abs. 2 Satz 3 aber ein umfassendes Einsichtsrecht zu, das er im Büro des Insolvenzverwalters wahrnehmen kann. Ein Recht zur Aushändigung, z.B. durch Anfertigung von Kopien durch den Verwalter, steht dem Schuldner dabei aber nicht zu. Meinungsverschiedenheiten über die Herausgabepflicht des Verwalters werden faktisch von diesem entschieden, da dem Schuldner gegen den Einbehalt bestimmter Poststücke kein Rechtsmittel zusteht. Eine Klärung kann allenfalls im Aufsichtswege nach § 58 erfolgen.