Rn 6
Steuerforderungen werden der Masse nicht erst dann geschuldet, wenn sie entstanden oder gar fällig sind, sondern wenn sie begründet sind. Die Begründetheit einer Steuerforderung gem. § 38 InsO ist gleichbedeutend mit dem "schuldig werden" gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
Für die insolvenzrechtliche Begründung des Anspruchs genügte, dass die Forderung ihrem Kern nach bereits vor Insolvenzeröffnung begründet ist. Dies ist der Fall, wenn der Sachverhalt der zur Entstehung der Steuer führt, vor Insolvenzeröffnung begründet wurde.
Bisher war der Berichtigungsanspruch gem. § 17 Abs 2 UStG wegen Uneinbringlichkeit bereits mit der Leistungserbringung aufschiebend bedingt begründet und führte wegen des negativen Umsatzsteuerbetrages zu einer Umsatzsteuerkürzung im Veranlagungszeitraum der Leistungserbringung, gegebenenfalls zu einem Erstattungsanspruch mit dem gem. § 95 Abs. 1 InsO aufgerechnet werden konnte. Diese Rechtsprechung stand jedoch im Widerspruch zur geänderten Rechtsprechung des BFH in den Jahren 2009 und 2010, wonach es nicht genügte, dass die Forderung ihrem Kern nach bereits begründet war, sondern dass der steuerliche Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen sein muss.
Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren, hat der BFH seine bisherige Rechtsansicht aufgegeben.
Tritt in Berichtigungsfällen gem. § 17 Abs. 2 UStG die Uneinbringlichkeit der Forderung nach Insolvenzeröffnung ein, so ist der Berichtigungsanspruch erst nach Insolvenzeröffnung zur Masse schuldig geworden und kann nicht Gegenstand der Aufrechnung sein. Nunmehr ist in Übereinstimmung mit der sonstigen Insolvenzrechtsprechung des BFH der Tatbestand der Berichtigung erst mit Eintritt der Uneinbringlichkeit der Forderung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen. Die Begründetheit der Forderung tritt erst mit Uneinbringlichkeit ein. Entscheidend ist, wann der materiellrechtliche Berichtigungstatbestand gem. § 17 Abs. 2 verwirklicht ist. Erst zu diesem Zeitpunkt wird das Finanzamt die Forderung zu Masse schuldig. Die Änderung der Besteuerungsgrundlage, also die Umsatzsteuerkürzung, ist damit im Voranmeldungszeitraum der Uneinbringlichkeit vorzunehmen. Ergibt sich hieraus ein Erstattungsbetrag, unterliegt dieser gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem Aufrechnungsverbot.
Rn 7
Ein Erstattungsanspruch wegen Uneinbringlichkeit kann sich allerdings nur ergeben, wenn die Umsatzsteuer auf der der Berichtigung zu Grunde liegenden Leistungserbringung auch tatsächlich gezahlt wurde. Wurde die Umsatzsteuer nur angemeldet, ist also Insolvenzforderung, so ist auf Grund der geänderten Rechtsprechung des BFH mit Insolvenzeröffnung eine Berichtigung wegen rechtlicher Unabhängigkeit auf Null vorzunehmen, sodass für eine erneute Berichtigung wegen Uneinbringlichkeit kein Erfordernis besteht.
Rn 8
Erwirbt der Schuldner im Rahmen seines frei gegebenen Geschäftsbetriebs einen steuerlichen Erstattungsanspruch, kann das Finanzamt gegen diesen Erstattungsan spruch mit Insolvenzforderungen aufrechnen. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dem nicht entgegen, weil der Erstattungsanspruch auf Grund der Freigabe nicht mehr massezugehörig ist. Die Trennung der Vermögensmassen und gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch Verteilung der Masse ist zwar tragendes Element der InsO, jedoch verbietet sie nicht Aufrechnungsmöglichkeiten, soweit diese nicht durch Aufrechnungsverbote der InsO geregelt sind. Der durch den BFH aufgestellte Vergleich mit absonderungsberechtigten Gläubigern geht allerdings fehl, da diese mit ihrem Ausfall Insolvenzgläubiger sind. Auch gebietet die Zwangslage – Entstehen der Steuererstattung kraft Gesetzes – keine andere Beurteilung, da der Gesetzgeber dies bewusst hingenommen habe. Auch § 294 Abs. 2 InsO verbietet nicht die Aufrechnung, weil der Erstattungsanspruch kraft Gesetzes entsteht und dadurch durch dem Schuldner nicht verschafft wurde. Gegen diese Entscheidung spricht auch, dass es zu einer zumindest teilweisen Doppelbefriedigung des Insolvenzgläubigers kommen kann, da der Insolvenzverwalter vom Erlöschen der Insolvenzforderung keine Kenntnis hat.
Zu diskutieren wird sein, ob der Insolvenzverwalter diejenigen Erstattungsansprüche von der Freigabe des Geschäftsbetriebs ausnehmen kann, mit denen Insolvenzforderungen aufgerechnet werden, ohne dass es der Schuldner i. S. v. § 294 Abs. 2 InsO verhindern kann.
Rn 9
Wird das Insolvenzverfahren unterjährig eröffnet und werden Einkommensteuervorauszahlungen aus der Masse geleistet, so ist der Überschuss über die für den Massezeitraum anteilige Einkommensteuerschuld an die Masse auszuzahlen. Eine Verrechnung mit der restlichen Einkommensteuerschuld, die als Insolvenzforderung zu qualifizieren ist, ist gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. Eine Einkommensteuervorauszahlung, die zu einer Erstattung führt, wird erst mit Zahlung der Vorauszahlung begründet.