Gesetzestext

 

Ist anzunehmen, dass sich Vermögen des Schuldners in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befindet, sollen im Eröffnungsbeschluss die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen kurz dargestellt werden, aus denen sich eine Zuständigkeit nach Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 für die deutschen Gerichte ergibt.

1. Art. 102 § 2 EGInsO

 

Rn 1

Gemäß Art. 102 § 2 EGInsO soll das deutsche Insolvenzgericht seine tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu seiner internationalen Zuständigkeit im Eröffnungsbeschluss für den Fall kurz darstellen,[1] dass möglicherweise auch ein anderer Mitgliedstaat international zuständig sein könnte.[2]

 

Rn 2

Der Eröffnungsbeschluss sollte deshalb hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit des Gerichts mit Gründen versehen werden.[3] Zudem sind nach Art. 16, 17 EuInsVO (Art. 19, 20 EuInsVO n. F.) die Gerichte verpflichtet, die Eröffnungsentscheidung der Gerichte anderer Mitgliedstaaten anzuerkennen, ohne diese nachzuprüfen. Dies setzt wiederum eine hinreichende Prüfung des eröffnenden Insolvenzgerichts hinsichtlich seiner internationalen Zuständigkeit voraus. Dieser Verknüpfung der internationalen Zuständigkeit liegt nach Erwägungsgrund 22 EuInsVO (Erwägungsgrund 65 EuInsVO n. F.) der Grundsatz des gemeinschaftlichen Vertrauens zugrunde. Der EuGH stellte in seiner Eurofood-Entscheidung die Relevanz dieses Aspekts eindeutig klar.[4] Wenn das Insolvenzgericht den Eröffnungsbeschluss ohne Prüfung und Begründung der internationalen Zuständigkeit erlässt, so ist er nicht nichtig.[5] Gegebenenfalls kann ein solches Vorgehen jedoch zu Amtshaftungsansprüchen[6] führen, wenn das ausländische Gericht das deutsche Verfahren als Partikularinsolvenzverfahren[7] betrachtet und im Ausland ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird.[8] Die Folge wäre in dieser Konstellation nämlich, dass der deutsche Insolvenzverwalter auf das im Ausland belegene Vermögen nicht direkt Zugriff nehmen kann.

 

Rn 3

Das deutsche Gericht kann Art. 102 § 2 EGInsO nicht dadurch genügen, dass es pauschal in jedem Fall ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet (weil beispielsweise der Gutachter keine Angaben zu den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gemacht hat).[9] Es empfiehlt sich, bereits im Beschlusstenor das Verfahren ausdrücklich als "Hauptinsolvenzverfahren im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 v. 28.05.2000 (EuInsVO)" zu eröffnen,[10] sodass die Bezeichnung auch nach §§ 9 und 30 InsO veröffentlicht wird. Gleichwohl ist die Bezeichnung als "Hauptverfahren" nur deklaratorisch.[11]

 

Rn 4

Ein Umstand, der eine Begründung des hiesigen Gerichts bezüglich seiner internationalen Zuständigkeit erforderlich macht, soll bereits dann vorliegen, wenn in einem anderen Mitgliedstaat Vermögen belegen ist.[12]

 

Rn 5

Die Regelung des Art. 102 § 2 EGInsO macht es erforderlich, dass im Insolvenzeröffnungsverfahren auch der deutsche Gutachter zu der internationalen Zuständigkeit des deutschen Gerichts Stellung nimmt, wenn der Schuldner in anderen Mitgliedstaaten Europas Vermögenswerte hat.

[1] Ausführlich dazu sowie "best practice" Pannen-Frind, Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 3 f.
[2] Hintergrund dieser Vorschrift ist, dass die EuInsVO keine Bestimmungen enthält, wie ein positiver Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten zweier Mitgliedstaaten gelöst werden soll, vgl. MünchKomm-Reinhart, Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 1; Nerlich/Römermann-Commandeur. Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 1.
[3] Wehdeking, Reform des Internationalen Insolvenzrechts in Deutschland und Österreich, DZWiR 2003, 133 (136).
[4] EuGH, Urt. v. 02.05.2006, C-341/04 Eurofood IFSC Ltd, NZI 2006, 360 [OLG Celle 24.08.2005 - 3 W 119/05] (361 f.).
[5] Es handelt sich um eine reine "Ordnungsvorschrift", vgl. Wimmer, Einpassung der EU-Insolvenzverordnung in das deutsche Recht durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, in: Gerhardt/Haarmeyer/Kreft, Insolvenzrecht im Wandel der Zeit, Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, S. 521 (525); Vallender, KTS 2005, 283 (312); Nerlich/Römermann-Commandeur, Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 4.
[6] Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301 (302); Nerlich/Römermann-Commandeur, Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 4; MünchKomm-Reinhart, Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 11.
[7] Partikularinsolvenzverfahren sind Insolvenzverfahren, die im Niederlassungsstaat vor einem Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden, Art. 3 Abs. 4 EuInsVO (Art. 3 Abs. 4 EuInsVO n. F.).
[8] Wehdeking, Reform des Internationalen Insolvenzrechts in Deutschland und Österreich, DZWiR 2003, 133 (136).
[9] Wehdeking, Reform des Internationalen Insolvenzrechts in Deutschland und Österreich, DZWiR 2003, 133(136).
[11] Vgl. BGH, Beschl. v. 21.02.2008, IX ZB 96/07, BeckRS 2008, 04207.
[12] RegEntw eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BT-Drs. 15/16, S. 15; Nerlich/Römermann-Commandeur, Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 2; dies gilt jedoch nicht für Dänemark, hier liegt ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers ...

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