Rn 1

Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 28.05.2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO[1]) vereinheitlichte das Internationale Insolvenzrecht innerhalb der EU in wesentlichen Teilen. Seit Inkrafttreten der EuInsVO werden grundsätzlich europäische Insolvenzverfahren in den anderen Mitgliedstaaten[2] automatisch anerkannt, ohne dass es eines formellen Anerkennungsverfahrens bedarf,[3] Art. 16 ff. EuInsVO (Art. 19 ff. EuInsVO n. F.).

 

Rn 1a

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben auf Vorschlag der Europäischen Kommission vom 12.12.2012 eine neue Verordnung[4] beschlossen, die am 26.06.2015 in Kraft getreten ist.[5] Nach Art. 85 EuInsVO n. F. findet die neue Verordnung auf Verfahren Anwendung, die nach dem 26.06.2017 eröffnet werden. Damit ergibt sich ein zukünftiger Anpassungsbedarf durch den nationalen Gesetzgeber hinsichtlich der Normen des Art. 102 §§ 1-10 EGInsO.

 

Rn 2

Die EuInsVO gilt gemäß Art. 249 EGV in den Mitgliedstaaten allgemein und unmittelbar. Eine gesonderte Umsetzung ist deshalb nicht erforderlich.

 

Rn 3

In Deutschland wurden allerdings Anpassungen an die Regelungen der EuInsVO für das deutsche Recht für erforderlich gehalten: Deshalb enthält Art. 102 EGInsO n. F. u.a. Vorschriften hinsichtlich der Veröffentlichung und zur Bestimmung des (örtlich) zuständigen Insolvenzgerichts bei europäischen Insolvenzverfahren.[6]

 

Rn 4

Durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 14.03.2003 (BGBl. I S. 345) wurde in Deutschland das Internationale Insolvenzrecht in Art. 102 EGInsO und §§ 335 ff. InsO neu normiert. Zuvor war es äußerst lückenhaft in Art. 102 EGInsO a. F. geregelt.[7]

 

Rn 5

Art. 102 §§ 1-11 EGInsO enthält die deutschen Ausführungsbestimmungen zur EuInsVO und passt das deutsche Recht an die europäische Verordnung an. Es ist jedoch zu beachten, dass die EuInsVO gegenüber den deutschen Ausführungsbestimmungen Vorrang hat. In einigen Regelungen hat der deutsche Gesetzgeber zum mindestens "Konfliktpotenzial" bezüglich des Anwendungsvorrangs geschaffen, vgl. Art. 102 §§ 4, 9 und 10 EGInsO.

 

Rn 6

Art. 102 EGInsO greift aufgrund seiner Funktion als Ausführungsvorschrift nur bei internationalen Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO. Im Verhältnis zu Drittstaaten findet das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht Anwendung.

 

Rn 7

Das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht ist in den §§ 335 ff. InsO geregelt. Ein globaler Verweis auf die EuInsVO ist hierin nicht erfolgt, weil die Verordnung für einen eng verflochtenen Wirtschaftsraum konzipiert ist. Das autonome Internationale Insolvenzrecht findet jedoch weltweit Anwendung. Aus diesem Grund sind die in §§ 335 ff. InsO enthaltenen Regelungen in bestimmten Bereichen weniger kooperationsfreundlich als diejenigen der EuInsVO.[8]

 

Rn 8

Das deutsche autonome internationale Insolvenzrecht (§§ 335 ff. InsO) gilt nicht nur im Verhältnis zu Drittstaaten, sondern kann auch bei europäischen Insolvenzverfahren zur Anwendung kommen, wenn weder die EuInsVO noch die Ausführungsbestimmungen in Art. 102 EGInsO Sondervorschriften enthalten.[9] Es besteht ein so genanntes "Ergänzungsverhältnis"[10] zwischen den Normen.

 

Rn 9

Die EuInsVO regelt beispielsweise nicht, wie das Mitwirkungsrecht des Verwalters in Art. 32 Abs. 3 EuInsVO (Art. 45 Abs. 3 EuInsVO n. F.) für das Parallelverfahren ausgestaltet sein soll.[11] Gemäß § 341 Abs. 3 InsO gilt der Verwalter als bevollmächtigt, das Stimmrecht der in seinem Verfahren angemeldeten Forderungen auszuüben, sofern ein Gläubiger nichts Abweichendes bestimmt. Von dieser Möglichkeit können wegen des "Ergänzungsverhältnisses" ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs zum neuen internationalen Insolvenzrecht auch Verwalter von Insolvenzverfahren, auf die die EuInsVO anwendbar ist, Gebrauch machen, obwohl es sich bei § 341 InsO um eine Norm des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts handelt.[12]

 

Rn 10

Literatur

Kindler, Hauptfragen der Reform des Europäischen Internationalen Insolvenzrechts, KTS 2014, 25; Kindler/Sakka, Die Neufassung der Europäischen Insolvenzverordnung, EuZW 2015, 460; Pannen, Europäische Insolvenzordnung, Kommentar 2004; Parzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63; Prager/Keller, Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Reform der EuInsVO, NZI 2013, 57; Wimmer, Einpassung der EU-Insolvenzverordnung in das deutsche Recht durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, in: Gerhardt/Haarmeyer/Kreft, Insolvenzrecht im Wandel der Zeit, Festschrift für Hans-Peter Kirchhof (2003), S. 521 ff.; ders., Übersicht zur Neufassung der EuInsVO, jurisPR-InsR 7/2015.

[1] Vgl. diesbezüglich z. B. die Kommentierung: Pannen-EuInsVO; Blersch/Goetsch/Haas-Pannen EuInsVO.
[2] Mit Ausnahme Dänemarks: vgl. Erwägungsgrund 33 der EuInsVO, Erwägungsgrund 88 der EuInsVO n. F.
[3] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (84).
[4] Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über In...

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