Rn 1

Ziel der EuInsVO ist es, Insolvenzverfahren grundsätzlich eine EU-weite Wirkung zu verleihen. Die Verordnung bietet Lösungen für Kollisionen zwischen den einzelstaatlichen Rechtsordnungen und für Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten.[1] Deshalb wird sie auch zu Recht als "Meilenstein" auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Wirtschaftsrecht bezeichnet.[2] Bis die Verordnung am 31.5.2002 in Kraft treten konnte, war es aber ein langer Weg.

 

Rn 2

Der EuInsVO liegt nämlich eine über 30-jährige Entstehungsgeschichte zugrunde.[3] Bereits 1970 wurde ein Vorentwurf vorgelegt.[4] Er hatte weitgehende Ähnlichkeiten zum romanischen Rechtskreis (vor allem zum französischen Recht), was zu nicht unerhebli- chem Widerstand führte.[5] 1980 folgte ein weiterer Entwurf[6] und 1984 schließlich ein revidierter Entwurf. Ohne konkrete Umsetzungen wurden 1985 die Beratungen wieder ausgesetzt.[7] Sie wurden erst während der informellen Ratstagung der Justizminister in San Sebastián im Mai 1989 wieder aufgenommen.[8] 1990 wurde im April eine Arbeitsgruppe "Konkursübereinkommen" eingesetzt. Im März 1991 legte sie einen ersten Vorentwurf[9], am 3.4.1992 dann einen überarbeiteten internen Entwurf vor.[10] Grundlage des Entwurfs war das Istanbuler Übereinkommen des Europarats. Basierend auf dem Entwurf von 1992 wurde bis 1995 das Europäische Insolvenzübereinkommen (EuInsÜ)[11] von den Justizministern der Mitgliedstaaten verabschiedet.[12] Bis zum 23.5.1996 konnte das EuInsÜ von den EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet werden. Die Unterzeichnung durch das Vereinigte Königreich unterblieb infolge der Politik der britischen Regierung, mit der es gegen das Importverbot für britisches Rindfleisch als Maßnahme gegen BSE reagierte,[13] wobei auch aus inoffiziellen britischen Stellungnahmen der Gibraltar-Konflikt angeführt wurde[14]. Damit war das EuInsÜ gescheitert.[15] Am 27.1.1999 wurde in einer Beratung der ad-hoc-Gruppe der Referenten "Übereinkommen über Insolvenzverfahren" eine EG-Verordnung, die sich eng am EuInsÜ anlehnt, mehrheitlich befürwortet. Im Anschluss daran haben Deutschland und Finnland am 27./28.5.1999 im Rat einen Vorschlag für eine EG-Verordnung eingebracht,[16] welche am 29.5.2000 als Verordnung Nr. 1346/2000/EG über Insolvenzverfahren (EuInsVO) vom Rat erlassen wurde.

[1] FK-Wimmer Anhang 1 Rn. 70.
[2] Eidenmüller, IPRax 2001, 2.
[3] Einen Überblick über die Rechtsgeschichte des internationalen Insolvenzrechts stellen dar: Wimmer, ZIP 1998, 982 f.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (538), sowie Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 34 ff. und Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (34 ff.).
[4] Abgedruckt in: RabelsZ 36 (1972), 734.
[5] Zu Einzelheiten des Entwurfs von 1970: Pottharst, Probleme des Europäischen Konkursübereinkommens, 1995, S. 56 f.
[6] Abgedruckt in: ZIP 1980, 582 und ZIP 1980, 811; vgl. auch Bericht Lemontey zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens, ZIP 1981, 547.
[7] Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (222).
[8] Strub, EuZW 1996, 71; Liersch, NZI 2002, 15 (40).
[9] Ratsdokument 5419/91 DRS 12 (CFC) vom 25.3.1991.
[10] Der Text ist abgedruckt in: ZIP 1992, 1197.
[11] Der Text des Europäischen Insolvenzübereinkommens entspricht weitgehend dem Wortlaut der EuInsVO. Aus diesem Grund kann man auch für die EuInsVO auf den Erläuternden Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, der von Miguel Virgos und Etienne Schmit verfasst wurde, zurückgreifen (Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht in: Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 32 ff.).
[12] Der Text ist abgedruckt in: ZIP 1996, 976.
[13] Liersch, NZI 2002, 15 (41); Jayme/Kohler, IPRax 1996, 377 (388 f.); Balz, ZIP 1996, 948; Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (222).
[14] Fritz/Bähr, a.a.O.
[15] Liersch, NZI 2002, 15 (41).
[16] m.w.N. Liersch, a.a.O.

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