1. Entstehungsgeschichte
Rn 1
Ziel der EuInsVO ist es, Insolvenzverfahren grundsätzlich eine EU-weite Wirkung zu verleihen. Die Verordnung bietet Lösungen für Kollisionen zwischen den einzelstaatlichen Rechtsordnungen und für Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten. Deshalb wird sie auch zu Recht als "Meilenstein" auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Wirtschaftsrecht bezeichnet. Bis die Verordnung am 31.5.2002 in Kraft treten konnte, war es aber ein langer Weg.
Rn 2
Der EuInsVO liegt nämlich eine über 30-jährige Entstehungsgeschichte zugrunde. Bereits 1970 wurde ein Vorentwurf vorgelegt. Er hatte weitgehende Ähnlichkeiten zum romanischen Rechtskreis (vor allem zum französischen Recht), was zu nicht unerhebli- chem Widerstand führte. 1980 folgte ein weiterer Entwurf und 1984 schließlich ein revidierter Entwurf. Ohne konkrete Umsetzungen wurden 1985 die Beratungen wieder ausgesetzt. Sie wurden erst während der informellen Ratstagung der Justizminister in San Sebastián im Mai 1989 wieder aufgenommen. 1990 wurde im April eine Arbeitsgruppe "Konkursübereinkommen" eingesetzt. Im März 1991 legte sie einen ersten Vorentwurf, am 3.4.1992 dann einen überarbeiteten internen Entwurf vor. Grundlage des Entwurfs war das Istanbuler Übereinkommen des Europarats. Basierend auf dem Entwurf von 1992 wurde bis 1995 das Europäische Insolvenzübereinkommen (EuInsÜ) von den Justizministern der Mitgliedstaaten verabschiedet. Bis zum 23.5.1996 konnte das EuInsÜ von den EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet werden. Die Unterzeichnung durch das Vereinigte Königreich unterblieb infolge der Politik der britischen Regierung, mit der es gegen das Importverbot für britisches Rindfleisch als Maßnahme gegen BSE reagierte, wobei auch aus inoffiziellen britischen Stellungnahmen der Gibraltar-Konflikt angeführt wurde. Damit war das EuInsÜ gescheitert. Am 27.1.1999 wurde in einer Beratung der ad-hoc-Gruppe der Referenten "Übereinkommen über Insolvenzverfahren" eine EG-Verordnung, die sich eng am EuInsÜ anlehnt, mehrheitlich befürwortet. Im Anschluss daran haben Deutschland und Finnland am 27./28.5.1999 im Rat einen Vorschlag für eine EG-Verordnung eingebracht, welche am 29.5.2000 als Verordnung Nr. 1346/2000/EG über Insolvenzverfahren (EuInsVO) vom Rat erlassen wurde.
2. Allgemeines
Rn 3
Am 31.5.2002 ist die Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren in Kraft getreten. Sie verfolgt vor allem zwei Ziele:
- Es soll ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes gewährleistet werden, indem die Verordnung effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren ermöglicht.
- Zum anderen soll das so genannte "forum shopping" verhindert werden. Den Beteiligten soll die Möglichkeit genommen werden, sich durch die Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen über die Anwendung des Kollisionsrechts eine verbesserte Rechtsstellung zu verschaffen.
Rn 4
Dabei geht die Verordnung vom Grundsatz "gemäßigter" Universalität aus. Das in einem Mitgliedstaat eröffnete Hauptinsolvenzverfahren erfasst das gesamte innerhalb der EU belegene Vermögen des Schuldners.
Rn 5
Die universale Wirkung des Hauptinsolvenzverfahrens hat zum Beispiel folgende Rechtsfolgen:
- Das Vermögen des Schuldners unterfällt europaweit ab Eröffnung des Verfahrens der Beschlagnahme.
- Alle Gläubiger werden in das Insolvenzverfahren miteinbezogen.
- Das in einem...