5.1 Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen
Rn 17
Ob auch noch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden können, wird unterschiedlich beurteilt. Für die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters folgt die Möglichkeit schon aus § 19 Abs. 2 Satz 2. Wenn es dort (allein) heißt, dass die Gläubiger zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen gemeinsamen Vertreter bestellen können, bedeutet dies nicht, dass andere Mehrheitsentscheidungen, insbesondere über Maßnahmen gemäß dem Katalog in § 5 Abs. 3 Satz 1 ausgeschlossen sind. Letztlich folgt das auch aus § 19 Abs. 4, da die Einbindung der Anleihegläubiger in einen Insolvenzplan regelmäßig mit einem teilweisen Verzicht auf Rechte einhergeht. Gleichwohl hat aber das OLG Dresden entschieden, dass die Gläubiger nach Insolvenzeröffnung keinen Opt-in-Beschluss nach § 24 Abs. 2 Satz 1 mehr fassen können.
5.2 Das Problem der "doppelten" Abstimmung
Rn 18
Anschaulich haben Kuder/Obermüller dargetan, dass die im Insolvenzverfahren seitens der Anleihegläubiger zumeist erfolgende doppelte Abstimmung das tatsächliche Ergebnis erheblich verfälschen kann. Durch die zunächst herbeizuführende Beschlussfassung innerhalb der Anleihegläubiger und die Einbringung dieses (einheitlichen) Abstimmungsergebnisses in die "allgemeine" Gläubigerversammlung i. S. d. § 156 InsO können dort die Stimmenverhältnisse in bestimmten Konstellationen gänzlich anders ausfallen, als wenn die Anleihegläubiger mit einem uneinheitlichen Stimmverhalten in die Versammlung aller, d. h. nicht nur der Schuldverschreibungsgläubiger gegangen wären. Diese Situation ist jedoch als Konsequenz der "doppelten" Abstimmung der Anleihegläubiger hinzunehmen.
5.3 Mehrheitserfordernis beim Insolvenzplan
Rn 19
Die in § 5 Abs. 4 Satz i. V. m. § 5 Abs. 3 Satz 1 enthaltene beispielhafte Aufzählung der Konstellationen, in denen es einer qualifizierten Mehrheit für den Beschluss der Gläubigerversammlung bedarf, erwähnt nicht den Fall, dass im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten ein Insolvenzplan vorgelegt wird.
Damit stellt sich die Frage, ob der Beschluss über den Insolvenzplan den in § 5 Abs. 3 Satz 1 aufgeführten Beispielen gleichzustellen ist. Meines Erachtens ist das zu bejahen, da in einem Insolvenzplan den Gläubigern und damit auch den Schuldverschreibungsgläubigern Zugeständnisse in Form von Forderungsverzichten, Stundungen etc. abverlangt werden. Damit ist die Situation der Abstimmung über einen Insolvenzplan den in § 5 Abs. 3 Satz 1 genannten Beispielsfällen gleichzustellen. Die Beschlussfassung über den Insolvenzplan bedarf in der Abstimmung der Schuldverschreibungsgläubiger der qualifizierten Mehrheit. Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass in § 19 Abs. 1 Satz 1 ein Vorrang des Insolvenzrechts und damit des dort in § 76 Abs. 2 InsO verankerten Prinzips der einfachen Mehrheit statuiert ist. Diese Argumentation übersieht, dass die Frage, ob eine qualifizierte Mehrheit gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 5 Abs. 3 erforderlich ist, nur die erste Stufe des doppelten Abstimmungsverfahrens der Schuldverschreibungsgläubiger (dazu oben) betrifft. In der Gläubigerversammlung der Anleihegläubiger ist die qualifizierte Mehrheit notwendig; in der allgemeinen Gläubigerversammlung nach § 156 InsO sind die insolvenzrechtlichen Mehrheitserfordernisse einzuhalten.
5.4 Gesamtkündigungsklausel
Rn 20
Aufgrund der Regelung in § 41 InsO, wonach nicht fällige Forderungen als fällig gelten, kommt der Gesamtkündigung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens keine große Bedeutung zu. Durch die insolvenzrechtliche Norm werden auch unkündbare Anleihen fällig gestellt.
5.5 Anwendbarkeit von § 18 im Insolvenzverfahren
Rn 21
Indem § 19 ausdrücklich normiert, dass – wenn noch kein gemeinsamer Vertreter der Schuldverschreibungsgläubiger bestellt ist – das Insolvenzgericht eine Gläubigerversammlung zur Wahl desselben einzuberufen hat, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass jedenfalls die erste Gläubigerversammlung nach Insolvenzeröffnung nicht gemäß § 18 durchgeführt werden kann. Bei späteren Abstimmungen ist dies jedoch möglich.