Rn 4
Die §§ 335 ff. stellen neben den Regelungen der unmittelbar geltenden EuInsVO und des EGInsO das für Deutschland geltende Internationale Insolvenzrecht dar.
Rn 5
Die EuInsVO findet dabei auf europäische grenzüberschreitende Insolvenzverfahren Anwendung. Dagegen regeln die §§ 335-358 das für Deutschland geltende Internationale Insolvenzrecht und erfassen alle Insolvenzsachverhalte bei Grenzüberschreitung zu einem Drittstaat (also nicht EU-Mitgliedstaat; inkl. Dänemark und ggf. bald auch Großbritannien). Die Vorschriften des EGInsO in Art. 102c dienen dazu ein reibungsloses Zusammenspiel der EuInsVO mit den nationalen (deutschen) Verfahrensregeln zu sichern, sodass der Anwendungsbereich des Art. 102c EGInsO folgerichtig deckungsgleich zu dem der EuInsVO ist.
Rn 6
Allerdings geht die EuInsVO als europäisches Recht innerhalb der EU den Bestimmungen der §§ 335 ff. vor und verdrängt diese gegebenenfalls.
Rn 7
Bei den Ausführungsbestimmungen zur EuInsVO in Art. 102c EGInsO handelt es sich nicht um eine Umsetzung des europäischen Rechts in das deutsche Recht, sondern um ergänzende Vorschriften. Diese werden – genau wie die §§ 335 ff. – unter Umständen durch das europäische Recht verdrängt.
Rn 8
Die Regelungen der §§ 335 ff. finden nur auf solche Verfahren Anwendung, die nach dem 20.03.2003 eröffnet worden sind. Für Verfahren, die vor diesem Zeitpunkt eröffnet wurden, findet Art. 102 EGInsO a. F. als autonomes Internationales Insolvenzrecht Anwendung. Dies ergibt sich jedoch aus einer analogen Anwendung von Art. 103a EGInsO.
Rn 9
Grenzüberschreitende Insolvenzen können einerseits in den sachlichen Anwendungsbereich der EuInsVO (nebst den Ausführungsbestimmungen in Art. 102c §§ 1–26 EGInsO) fallen. Zum anderen können im Verhältnis zum außereuropäischen Ausland bzw. bei internationalen Bankinsolvenzen die §§ 335 ff. (vgl. generell Ausnahme in Art. 1 Abs. 2 a-d EuInsVO) als deutsches autonomes Internationales Insolvenzrecht bzw. die entsprechenden Vorschriften des Internationalen Insolvenzrechts eines Drittstaates Anwendung finden.
Rn 10
Der damaligen Begründung des Regierungsentwurfs zum deutschen autonomen Internationalen Insolvenzrecht kann man entnehmen, dass mit der EuInsVO und dem Ausführungsgesetz für Deutschland in Art. 102 EGInsO grenzüberschreitende Insolvenzen in der EU nicht abschließend geregelt sind. Die §§ 335 ff. gelangen mithin nicht nur im außereuropäischen Bereich, sondern immer dann zur Anwendung, wenn die EuInsVO oder die Ausführungsbestimmungen (Art. 102 EGInsO) keine Sondervorschriften enthalten oder dem Mitgliedstaat bewusst die Regelung einer Rechtsfrage überlassen wird (sog. Ergänzungsverhältnis).
Rn 11
Das deutsche Internationale Insolvenzrecht ist sowohl internationales Zivilverfahrensrecht wie auch internationales deutsches Privatrecht (und damit auch Kollisionsrecht). Dabei bestimmt es bei grenzüberschreitenden Bezügen entweder durch eine Verweisung auf eine der berührten Rechtsordnungen (sodann spricht man von einer Kollisionsnorm z. B. § 335) oder es ordnet bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eine konkrete Rechtsfolge an (sodann spricht man von einer Sachnorm). Die wichtigsten Sachnormen im deutschen Insolvenzrecht sind § 338 Abs. 1 zur Aufrechnung, § 351 Abs. 1 in Bezug auf dingliche Rechte, § 355 Abs. 1 zur Frage der Restschuldbefreiung und § 355 Abs. 2 zur Behandlung von Insolvenzplänen.
Rn 12
Zu beachten ist insbesondere, dass das Internationale Insolvenzrecht auch zwingende Vorschriften enthält, die überwiegend dem öffentlichen Interesse dienen. Die Parteien können nicht durch eine vorhergehende individuelle Vereinbarung ein für sie abweichend geltendes Insolvenzrecht für den Insolvenzfall bestimmen, denn dieser Regelungsbereich ist für die Privatparteien nicht dispositiv.