Verfahrensgang
AG Perleberg (Entscheidung vom 18.11.2019; Aktenzeichen 23 Cs 243/19) |
Tenor
Auf den Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO wird der Beschluss des Amtsgerichts Perleberg vom 18. November 2019 aufgehoben.
Das von dem Angeklagten eingelegte Rechtsmittel ist als Berufung zu behandeln.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Perleberg hat gegen den Angeklagten unter dem Datum des 12. Juni 2019 einen Strafbefehl wegen Beleidigung erlassen und darin eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 € festgesetzt. Im Haftbefehl wird dem Angeklagten vorgeworfen, seine damals getrennt von ihm lebende Ehefrau am ... Januar 2018 in L... als "verfickte Schlampe" bezeichnet zu haben. Auf den Einspruch des Angeklagten hat das Amtsgericht Perleberg auf die Hauptverhandlung vom 13. August 2019 und vom 3. September 2019 den Tatvorwurf als erwiesen erachtet und gegen den Angeklagten mit Urteil vom 3. September 2019 wegen Beleidigung auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,00 € erkannt.
Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde dem Angeklagten eine Rechtsmittelbelehrung erteilt. Das Hauptverhandlungsprotokoll ist erst am 31. Januar 2020 fertig gestellt worden.
Mit dem handschriftlich verfassten Schreiben vom 5. September 2019, eingegangen bei Gericht am 9. September 2019, hat der Angeklagte gegen das amtsgerichtliche Urteil "Revision" eingelegt. Der Angeklagte bringt in dem Schreiben vor, dass er die ihm vorgeworfene Worte "niemals" gesagt habe. Auch seien die von Staatsanwaltschaft benannten Zeugen nicht zur vermeintlichen Tatzeit vor Ort gewesen. Des Weiteren begründet der Angeklagte sein Rechtsmittel damit, dass sich die Zeugen an die ihm vorgeworfene Äußerung in der Hauptverhandlung nicht hatten erinnern können, das "verbale Wort" sei vielmehr den Zeugen durch den Richter "förmlich" in den Mund gelegt worden, worauf diese nur noch "ja, ja" gesagt hätten. In der Hauptverhandlung sei die ihm vorgeworfene Beleidigung nicht bewiesen worden. "Die Verhandlung und das Urteil" seien nicht rechtmäßig, auch nicht "die Bestrafung von 60 Tagessätzen zu 20,00 €".
Das mit Gründen versehene schriftliche Urteil wurde dem Angeklagten zunächst am 11. Oktober 2019, dann - nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls - nochmals am 4. Februar 2020 förmlich zugestellt.
Das Amtsgericht Perleberg hat mit Beschluss vom 18. November 2019 "die am 09.09.2019 eingelegte Revision des Angeklagten" als unzulässig verworfen, weil der "Revisionsführer" das Rechtsmittel innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO weder durch Schreiben eines Verteidigers oder Rechtsanwalts noch zu Protokoll der Geschäftsstelle mit Anträgen versehen und begründet habe.
Der Verwerfungsbeschluss wurde dem Angeklagten am 20. November 2019 förmlich zugestellt. Mit Schreiben vom 23. November 2019, eingegangen beim Amtsgericht Perleberg am 27. November 2019, hat der Angeklagte gegen den Verwerfungsbeschluss vom 20. November 2019 "sofortige Beschwerde" eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 10. März 2020 beantragt, das als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO auszulegende Schreiben des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Das Schreiben des Angeklagten vom 23. November 2019 ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO als dem einzig statthaften Rechtsbehelf auszulegen. Der Antrag ist zulässig und insbesondere fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Der Rechtsbehelf führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
a) Nach § 346 Abs. 1 StPO kann das Tatgericht, dessen Urteil angefochten worden ist, eine gegen seine Entscheidung erhobene Revision verwerfen, wenn diese verspätet eingelegt worden ist oder die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden sind.
aa) Bei den im vorliegenden Fall eingelegten Rechtsmittel des Angeklagten handelt es sich jedoch bei zutreffender - entgegen der Ansicht des Amtsgericht erforderlicher - Auslegung nicht um eine nach § 335 Abs. 1 StPO grundsätzlich statthafte (Sprung-)Revision gegen das amtsgerichtliche Urteil, sondern um eine Berufung.
Dem Revisionsgericht obliegt bei der nach § 346 Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung auch die Überprüfung, ob das Rechtsmittel als Revision oder als Berufung anzusehen ist (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 11. Juni 2012, 1 Ws 72/12; Senatsbeschluss vom 26. März 2007, 1 Ws 10/07, zit. jeweils nach juris). Denn das Revisionsgericht vermag seiner Verpflichtung, aufgrund eines Antrags nach § 346 Abs. 2 StPO die Frage der Zulässigkeit der Revision nach allen Richtungen und ohne die dem Tatgericht in § 346 Abs. 1 StPO auferlegten Grenzen zu überprüfen, nur zu genügen, wenn es zuvor die vorrangige Frage klärt, ob überhaupt eine (Sprung-)Revision im Sinne von § 335 Abs. 1 StPO vorliegt. Nur wenn dies der Fall ist, kann das Revisionsgericht be...