Verfahrensgang

AG Zossen (Entscheidung vom 29.06.2022; Aktenzeichen 143 OWi 483 Js 5357/22)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 29. Juni 2022 wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 29. Juni 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Zossen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg hat mit Bescheid vom 26. November 2021 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 23 km/h (nach Toleranzabzug), was am ... 2021 gegen 15:59 auf der Bundesautobahn ... bei km 79,85 (Parkplatz, Fahrtrichtung Autobahndreieck .../...), mit dem Pkw amtliches Kennzeichen ... begangen worden sein soll, ein Bußgeld in Höhe von 70,00 € festgesetzt.

Nachdem der Betroffene dagegen form- und fristgerecht Einspruch erhoben hatte, hat der Bußgeldrichter des Amtsgerichts Zossen mit Verfügung vom 25. Mai 2022 Termin zur Hauptverhandlung auf den 29. Juni 2022, 15:30 Uhr, anberaumt und den Betroffenen sowie seinen Verteidiger förmlich geladen.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 28. Juni 2022, eingegangen bei Gericht über das elektronische Postfach am selben Tag um 17:21 Uhr, hat der Verteidiger für den Betroffenen beantragt, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am Folgetag zu entbinden. Des Weiteren räumt der Betroffene mit vorgenanntem Anwaltsschriftsatz ein, "verantwortlicher Fahrzeugführer" zur Tatzeit gewesen zu sein, es wird ausgeführt, in "geregelten wirtschaftlichen Verhältnissen zu leben" und hervorgehoben, in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben, insbesondere zur Sache, zu machen.

Nachdem weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin am 29. Juni 2022 um 15:30 Uhr erschienen waren, hat das Bußgeldgericht gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 26. November 2021 verworfen.

Der Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen im Hauptverhandlungstermin am 29. Juni 2022 ist nicht beschieden worden.

Das Verwerfungsurteil wurde, obwohl sich die Vollmachtsurkunde des Verteidigers bereits bei der Akte befand, dem Betroffenen am 4. Juli 2022 förmlich zugestellt, ebenso dem Verteidiger. Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Juli 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Betroffene beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und den Zulassungsantrag sowie die Rechtsbeschwerde mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 9. August 2022 begründet und mit Anträgen versehen. Der Betroffene beanstandet insbesondere, dass über seinen Antrag auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung nicht entschieden wurde, und anstelle eine Abwesenheitsverhandlung durchzuführen ein Verwerfungsurteil ergangen ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 13. September 2022 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 29. Juni 2022 wegen Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen und auf die Rechtsbeschwerde das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Zossen zurückzuverweisen.

II.

Der Senat folgt den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft.

1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG statthaft und gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann als Prozessurteil nur mit der Verfahrensrüge beanstandet werden; wobei - wie hier - im Fall einer zu Grunde liegende Geldbuße von nicht mehr als 100,00 Euro gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ausschließlich die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt werden kann.

a) Die Antragsbegründung enthält eine den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG entsprechende Verfahrensrüge. Denn soweit im Grundsatz bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs darzulegen ist, was der Beschwerdeführer im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, erfährt dieser Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn gerügt wird, die Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG beruhe auf einer unterbliebenen oder auf einer rechtsunwirksamen Ablehnung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht nur dann verletzt, wenn der Betroffene daran gehindert wird, zu den für die gerichtliche Entscheidung erheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, sondern auch dann, wenn das Gericht eine Stellungnahme des Betroffenen nicht zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt (vgl. dazu Schmid...

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