Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt: gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber minderjährigen Kindern; Zurechnung eines fiktiven Einkommens; Forderungsübergang wegen gezahlten Unterhaltsvorschusses und Leistungen nach SGB II
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein gegenüber minderjährigen Kindern Unterhaltsverpflichteter muss seine Arbeitskraft entsprechend seiner Vorbildung, seinen Fähigkeiten und der Arbeitsmarktlage bestmöglich einsetzen. Er ist verpflichtet, alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf zu nehmen, um ein die Zahlung des Mindestunterhalts sicherstellendes Einkommen zu erzielen.
2. Dem Unterhaltsverpflichteten ist grundsätzlich zuzumuten, sich um jede Art von Tätigkeit, auch eine solche unterhalb seines Ausbildungsniveaus oder entgegen den eigenen Neigungen, zu bemühen. Arbeiten für ungelernte Kräfte zählen hierzu ebenso wie Arbeiten zu ungünstigen Zeiten oder zu wenig attraktiven Arbeitsbedingungen. Es existiert kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass wegen hoher Arbeitslosigkeit mangelnder oder ungenügender Ausbildung, fortgeschrittenen Alters oder sonstiger ungünstiger Bedingungen trotz gehöriger Bemühungen keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht.
3. Da das UVG keine besonderen Schutzvorschriften enthält, ist ein Anspruchsübergang in Fällen, in denen der Unterhaltsanspruch auf der Zurechnung fiktiven Erwerbseinkommens beruht, nicht ausgeschlossen. Ein Forderungsübergang auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist dagegen in diesem Fall nicht möglich.
Normenkette
BGB §§ 286, 1603 Abs. 2; UVG § 7 Abs. 1; SGB II § 33 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Fürstenwalde (Beschluss vom 18.01.2010) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG Fürstenwalde vom 18.1.2010 unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller zu 1. zu Händen seiner gesetzlichen Vertreterin Kindesunterhalt wie folgt zu zahlen:
- insgesamt 1.501,68 EUR für die Zeit vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2009 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 29.12.2009,
- monatlich 84,28 EUR für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.7.2010,
- monatlich 48,4 % des Mindestunterhalts der zweiten Altersstufe abzgl. hälftiges Kindergeld für ein erstes Kind ab dem 1.8.2010 und
- monatlich 48,4 % des Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzgl. hälftiges Kindergeld für ein erstes Kind ab dem 1.3.2013.
Ferner wird der Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin zu 2. zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreterin Kindesunterhalt wie folgt zu zahlen:
- insgesamt 555,88 EUR für die Zeit vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2009 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 29.12.2009,
- monatlich 84,28 EUR für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.7.2010,
- monatlich 48,4 % des Mindestunterhalts der zweiten Altersstufe abzgl. hälftiges Kindergeld für ein zweites Kind ab dem 1.8.2010 und
- monatlich 48,4 % des Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzgl. hälftiges Kindergeld für ein zweites Kind ab dem 1.8.2014.
Der rückständige Unterhalt ist sofort zahlbar, der zukünftige monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats.
Der Antragsgegner wird weiterhin verpflichtet, an die Antragsteller zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreterin 272,87 EUR als Ersatz ihrer vorprozessualen Anwaltskosten zu zahlen.
Im Übrigen werden die Anträge der Antragsteller zurückgewiesen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Antragsteller 74 % und der Antragsgegner 26 % zu tragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden den Antragstellern zu 10 % und dem Antragsgegner zu 90 % auferlegt.
Die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung wird angeordnet.
Beschwerdewert: 5.072,10 EUR
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über Minderjährigenunterhalt ab 1/2008.
Der am ... März 2001 geborene Antragsteller zu 1. und die am ... August 2002 geborene Antragstellerin zu 2. sind die Kinder des Antragsgegners aus seiner nichtehelichen Beziehung mit der Mutter der beiden Antragsteller. Für den Antragsteller zu 1. wurden bis 1/2008 und für die Antragstellerin zu 2. bis 4/2009 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erbracht. Im Übrigen lebten und leben sie seither von Leistungen nach dem SGB II. In dem vorliegenden im Dezember 2009 eingeleiteten Verfahren haben sie in erster Instanz den Mindestunterhalt geltend gemacht sowie Erstattung ihrer vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten. Die Rechtshängigkeit des Verfahrens ist am 29.12.2009eingetreten.
Der im Jahr 1964 geborene Antragsgegner, der die Sonderschule besucht hat, ist seit dem Jahr 2000 bis heute im Wesentlichen arbeitslos und lebt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, wobei er gelegentlich 1,50 EUR-Jobs ausübt.
Das AG hat den Antragsgegner unter Zurechnung eines fiktiven Einkommens auf der Grundlage eines für Bauhelfer erzielbaren ...