Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterliche Sorge: Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung nach eigenmächtiger Mitnahme der Kinder im Zuge der Trennung der Eltern
Leitsatz (amtlich)
Zum Regelungsbedürfnis für eine vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater, wenn die Mutter mit Kindern ins Frauenhaus zieht.
Leitsatz (redaktionell)
Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung zum elterlichen Sorgerecht nach eigenmächtiger Mitnahme der Kinder im Zuge der Trennung der Parteien
Normenkette
ZPO § 621 g; BGB § 1671; ZPO § 621g
Verfahrensgang
AG Bernau (Beschluss vom 08.10.2008; Aktenzeichen 6 F 610/08) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die gemeinsamen Kinder F. und O. im Wege der einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten als Teil der Kosten der Hauptsache.
Der Beschwerdewert wird auf 500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die gem. §§ 621g, 620c ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für die vom AG erlassene einstweilige Anordnung liegen nicht vor.
Im selbständigen Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge gem. § 621a Abs. 1 Nr. 1 ZPO besteht die Möglichkeit, auf Antrag Regelungen im Wege einstweiliger Anordnung zu treffen, § 621g ZPO. Eine solche einstweilige Anordnung, die auch nur Teilbereiche der elterlichen Sorge erfassen kann, ist nur zulässig, wenn eine Regelungsbedürfnis, also ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten besteht, das ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestattet, weil diese zu spät kommen und die Kindesinteressen nicht genügend waren würde (OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 304; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 621g, Rz. 2). Dazu reicht es nicht aus, dass die gerichtliche Entscheidung dem Wohle des Kindes am besten entsprechen würde. Erforderlich ist vielmehr, dass ohne eine Eilentscheidung des Gerichts eine nachteilige Beeinträchtigung des Kindeswohls ernsthaft zu befürchten ist (Senat, FamRZ 2004, 210; OLG Brandenburg - 1. Senat für Familiensachen, FamRZ 1998, 1249; Keidel/Kahl, FGG, 15. Aufl., § 19 Rz. 30 m.w.N.). Eine derartige ernsthafte Beeinträchtigung des Kindeswohls, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen kann, mag etwa dann vorliegen, wenn im Falle der Trennung der Eltern das Kind bei einem Elternteil lebt, dessen Eignung zur Erziehung fehlt oder der mit dem Kind in einem für dieses ungünstigen Umfeld wohnt. Wird das Kind von dem Elternteil, der aus der gemeinsamen Wohnung auszieht, mitgenommen, so kann - je nach den konkreten Gegebenheiten auch bei im Grunde gleicher Erziehungseignung der Eltern - eine einstweilige Anordnung erforderlich sein, wenn das Kind diese Änderung seiner Lebensverhältnisse nicht verkraftet (Senat, a.a.O.). In Sorgerechtsstreitigkeiten ist aber zu berücksichtigen, dass die vorzunehmende Abwägung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist (BVerfG, FamRZ 2007, 1626). Eine einstweilige Anordnung kommt ferner dann in Betracht, wenn ein Elternteil die Hauptbezugsperson des Kindes ist, das Kind von dieser Hauptbezugsperson getrennt ist und darunter leidet. Schließlich ist eine einstweilige Anordnung auch dann angebracht, wenn die getrennt lebenden Eltern sich immer wieder wechselseitig des Kindes bemächtigen, weil ein solches unkoordiniertes Hin und Her für das Kind eine schwere Belastung und starke Verunsicherung bedeutet (OLG Karlsruhe, FamRZ 1990, 304 [305]; Senat, a.a.O.; OLG Brandenburg - 1. Senat für Familiensachen, a.a.O.). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antragsteller mit seinem Antrag im Hauptsacheverfahren aber später Erfolg hätte, ggü. den Nachteilen abzuwägen, die entständen, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfG, a.a.O.). Daher entspricht es regelmäßig dem Wohl des Kindes nicht, eine bereits vollzogene einstweilige Anordnung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht ohne schwerwiegende Gründe abzuändern und somit vor der Entscheidung des AG in der Hauptsache über einen erneuten Ortswechsel zu befinden (Senat, a.a.O.; OLG Brandenburg - 1. Senat für Familiensachen, a.a.O.; OLG Köln, NJW 1999, 224). Dementsprechend kommt auch eine einstweilige Anordnung, die zu einem Obhutswechsel des Kindes führt, nur ausnahmsweise in Betracht. Denn wenn das Hauptsacheverfahren noch offen ist, also insbesondere auch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder der gesamten elterlichen Sorge auf den ursprünglichen Obhutsinhaber möglich erscheint, wäre ein mehrfacher Wechsel des Wohnortes und der unmittelbaren Bezugsperson zu gewärtigen, der das Kindeswohl in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigen würde (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Unter Berücksichtig...