Leitsatz (amtlich)
1. Darauf, dass der Verfahrensgegenstand in Kindesschutzverfahren der Disposition der Beteiligten entzogen ist, kommt es nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der seit dem 1.9.2009 geltenden Regelungen Nr. 1000 Nr. 1, Anm. V S. 2 und Nr. 1003, Anm. 2 VV RVG und dem hierdurch zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers nicht maßgeblich an.
2. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber speziell für Verfahren nach Maßgabe von § 1666 BGB das Entstehen einer Einigungsgebühr ausschließen wollte, ergeben sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderung.
Verfahrensgang
AG Neuruppin (Aktenzeichen 54 F 104/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 19. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Bezirksrevisor wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Festsetzung einer Einigungsgebühr nach Nummer 1003 Abs. 2 VV RVG im Rahmen der Verfahrenskostenhilfevergütung für die im Kindesschutzverfahren gemäß §§ 1666, 1666a BGB beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter.
Das betroffene im August 2018 geborene Kind K. lebte zuerst bei seiner Mutter. Mit der Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt J. im Juli 2020 war die Mutter nicht einverstanden. Das Jugendamt hat angeregt, der Mutter gemäß §§ 1666, 1666a BGB Teile der elterlichen Sorge zu entziehen, um das Wohl des Kindes sicherzustellen.
Mit Beschluss vom 22. September 2021 ist der Mutter die Beschwerdegegnerin im Rahmen der Verfahrenskostenhilfebewilligung als Hauptbevollmächtigte beigeordnet worden.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht in einem zweiten Termin "folgendes festgehalten ...
Im Einvernehmen mit allen Beteiligten soll K. zeitnah in den mütterlichen Haushalt zurückgeführt werden.
Dazu wird ebenfalls im Einvernehmen mit allen Beteiligten Frau F. von heute, ... bis voraussichtlich ... in der Nähe der Einrichtung in einer Unterkunft die weitere Annäherung von K. durch ihre eigene Betreuung vornehmen. Voraussichtlich am Montag, den ... wird Frau F. K. dann endgültig zu sich nach Hause nehmen.
Frau X. erklärt für das Jugendamt J. verbindlich die Kostenübernahme für die Unterkunft von Frau F. bis längstens Montag, ....
Frau F. erklärt sich bereit und verpflichtet sich, auf Anforderung des Jugendamtes zu unregelmäßigen Drogenscreenings, um ihre Drogenabstinenz nachzuweisen.
Frau F. verpflichtet sich, K. spätestens zu Beginn des neuen Schuljahres in einem Kindergarten anzumelden, eventuell auch früher nach Absprache mit dem Jugendamt und entsprechend der Bedürfnisse von K.
...
Frau F. verpflichtet sich, zeitnah für K. einen Termin in einer psychiatrischen Institutsambulanz für Kinder und Jugendliche zu vereinbaren zur Erlangung einer grundlegenden kinderpsychiatrischen Diagnostik.
Ferner verpflichtet sie sich, K. eine eventuell nach der Diagnostik empfohlene Psychotherapie zu ermöglichen.
Frau F. verpflichtet sich, K. zeitnah in einer logopädischen Praxis vorzustellen ...
Frau F. stellt hiermit verbindlich beim Jugendamt in K. den Antrag auf Hilfe zur Erziehung in der Form der sozialpädagogischen Familienhilfe.
Frau F. verpflichtet sich, zu einer zukünftigen kooperativen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und für das Jugendamt gut erreichbar zu sein.
Frau F. beabsichtigt, eine Mutter-Kind-Kur zu beantragen und auch eine eigene Psychotherapie entsprechend der Empfehlung des Sachverständigen aufzunehmen. Vor dem Hintergrund voraussichtlich langer Wartezeiten wird sie sich zeitnah bereits jetzt um einen Termin zu einer Psychotherapie bemühen."
Anschließend hat es das Kindesschutzverfahren eingestellt und eine Kostenentscheidung getroffen.
Die Hauptbevollmächtigte der Mutter hat beantragt, ihre VKH-Vergütung unter Einschluss einer Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003, 1000 VV RVG festzusetzen. Die zuständige Rechtspflegerin hat die Verfahrenskostenhilfevergütung unter Abzug der geltend gemachten Einigungsgebühr festgesetzt. Nachdem die Rechtspflegerin der hiergegen eingelegten Erinnerung der Hauptbevollmächtigten nicht abgeholfen hatte, hat die zuständige Richterin mit dem angefochtenen Beschluss, auf dessen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird, die Verfahrenskostenhilfevergütung unter Einschluss der Einigungsgebühr festgesetzt. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Bezirksrevisors hat sie nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.
Die Einzelrichterin hat das Verfahren mit Beschluss vom 4.1.2023 wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 S. 2 RVG.
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Der beigeordneten Hauptbevollmächtigten der Mutter steht auch die von ihr geltend gemachte Einigungsgebühr zu.
1. Nach Nr. 1000 Nr. 1, Anm. V S. 2 VV-RVG entsteht die Einigungsgebühr "für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird". Nach Nr. 1003 Anm. 2 VV-RVG "entsteht die Gebühr" in Kindschaftssachen "auch für die Mitw...