Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung im kindesschutzrechtlichen Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Das Eingriffsgebot des § 1666 I BGB und das begleitende Verfahrensrecht (§ 155 I, II FamFG) weisen dem Familiengericht die von der Mitwirkung anderer unabhängige Befugnis und Verantwortung zu, das Kindeswohl vor Gefahren zu bewahren und Störungen zu beseitigen, wenn Abhilfe durch die Eltern nicht zu erwarten ist. Einem durch Sachverständige nahegelegten Verdacht einer emotionalen Vernachlässigung des Kindes und der Befürchtung irreparabler Entwicklungsstörungen muss das Gericht nachgehen und kindesschutzrechtliche Maßnahmen in Betracht ziehen.
Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der den Fortgang eines fachgerichtlichen Verfahrens nicht aufhält, wenn er gegen eine dort ergangene Zwischenentscheidung eingelegt wird.
Normenkette
BGB § 1666; BVerfGG § 32; FamFG §§ 6, 155; ZPO § 42
Verfahrensgang
AG Nauen (Beschluss vom 02.01.2018; Aktenzeichen 20 F 142/14) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtgerichts Nauen vom 2. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin gegenüber der Richterin am Amtsgericht Passerini ist unbegründet. Die Besorgnis der Befangenheit (§§ 6 I 1 FamFG, 42 I, II ZPO) ist nicht gerechtfertigt.
Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters (§§ 6 I 1 FamFG, 42 II ZPO) ist gerechtfertigt, wenn ein besonnen prüfender Beteiligter, der seine Interessen auch in einer für ihn schwierigen verfahrensrechtlichen Lage zwar aufmerksam aber nicht überempfindlich wahrnimmt, aus objektiven Gründen auf die Voreingenommenheit des Richters schließen kann. Einerseits eignen sich rein subjektive Befindlichkeiten des Ablehnenden, die einem Dritten nicht vermittelbar und für ihn nicht nachvollziehbar sind, nicht zur Begründung der Befangenheitssorge. Andererseits kommt es auf eine tatsächliche Voreingenommenheit oder Parteilichkeit des abgelehnten Richters nicht an, sondern allein auf den äußeren Anschein von Befangenheit, von dem das Verfahren freigehalten werden soll.
Verfahrensfehler und Fehlentscheidungen kommen danach generell als Grund für eine Befangenheitsbesorgnis in Betracht. Es kann Misstrauen gegenüber der objektiven Einstellung eines Richters begründen, wenn er nicht auf Grund eines bloßen Rechtsirrtums, sondern in der Willkür naher, nicht mehr hinnehmbarer Weise eine dem Ablehnenden ungünstige Entscheidung getroffen hat (vgl. BGH, NJW 1984, 1907, 1909; 1990, 1373, 1374).
Die von der Antragstellerin mit ihrem Ablehnungsgesuch angeführten Gesichtspunkte eignen sich nicht, einen objektiven Anschein von willkürlicher Verfahrensführung zu begründen.
Die Antragstellerin lastet der abgelehnten Richterin an, diese habe den Gegenstand des Umgangsverfahrens in eine Sorgesache geändert und eigenmächtig Ermittlungen über eine Kindeswohlgefährdung begonnen. Dazu habe keinerlei Veranlassung bestanden.
Nicht das Vorgehen der abgelehnten Richterin, sondern der dagegen gerichtete Vorwurf entbehrt einer Grundlage im geltenden Verfahrensrecht. Das Eingriffsgebot des § 1666 I BGB und das begleitende Verfahrensrecht (§ 155 I, II FamFG) weisen dem Familiengericht die von der Mitwirkung anderer unabhängige Befugnis und Verantwortung zu, das Kindeswohl vor Gefahren zu bewahren und Störungen zu beseitigen, wenn Abhilfe durch die Eltern nicht zu erwarten ist. Die von den Sachverständigen ... und PD Dr. ... mitgeteilten Beobachtungen und Beurteilungen haben dringenden Anlass geboten, einer Kindeswohlgefährdung nachzugehen. Die Überfürsorge der Antragstellerin, die andererseits - ebenso wie der Antragsgegner - nur bedingt in der Lage sei, eine empathische Beteiligung an der Lage des Kindes zu zeigen, habe das Kind in eine äußerst schwierige, ausweglose Position im Beziehungsgeflecht der streitenden Eltern gebracht (S. 36 f. GA = Bl. 420 f.). Bei ungehindertem Fortgang sei eine manifeste Anpassungsstörung des Kindes zu erwarten (S. 33, 40 GA = Bl. 417, 424). Eine vollstationäre heilpädagogische Unterbringung des Kindes müsse deshalb ernsthaft erwogen werden (S. 39 GA = Bl. 423).
Die abgelehnte Richterin hat nicht "eigenmächtig" gehandelt, wie die Antragstellerin ihr vorhält (Ablehnungsgesuch, S. 5 = Bl. 848), sondern eigenverantwortlich und pflichtgemäß, indem sie dem durch die Sachverständigen nahegelegten Verdacht einer emotionalen Vernachlässigung des Kindes und der Befürchtung irreparabler Entwicklungsstörungen weiter nachging und kindesschutzrechtliche Maßnahmen in Betracht zog, die über die bis dahin allein erörterten Umgangsbeschränkungen hinausgehen. Ob dazu das begonnene Verfahren mit erweitertem Gegenstand fortgeführt oder ob ein weiteres Verfahren eingeleitet werden sollte, ist eine formale Entscheidung, die die Aktenführung, die Zählkartenverwaltung und die Verfahrensstatistik betrifft; gegenüber den Rechten der Beteiligten ist das gewählte...