Verfahrensgang
AG Neuruppin (Beschluss vom 14.11.2016; Aktenzeichen 52 F 150/15) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des AG Neuruppin vom 14.11.2016 aufgehoben.
Gründe
1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Verfahrenskostenhilfebewilligung für eine Sorgerechtssache.
Ihr ist durch Beschluss vom 03.11.2015 Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts bewilligt worden (9 VK). Raten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge hat das AG nicht festgesetzt.
Mit Beschluss vom 28.11.2016 hat das AG das Verfahren in der Hauptsache beendet und von der Erhebung gerichtlicher Kosten abgesehen sowie jedem Beteiligten seine eigenen Kosten auferlegt (113). Mit dem Beschluss vom 06.01.2017 hat es den Verfahrenswert auf 6000 EUR festgesetzt (125). Ein Vergütungsantrag des Rechtsanwalts der Beschwerdeführerin liegt bislang nicht vor.
Mit Schreiben vom 09.09.2016 hat das AG (Rechtspflegerin) unter Hinweis auf einen in einem anderen Verfahren bekannt gewordenen Anschriftswechsel angekündigt, den Verfahrenskostenhilfebeschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aufzuheben. Mit Beschluss vom 14.11.2016 hat es den Bewilligungsbeschluss vom 03.11.2015 gemäß § 124 Nr. 4 ZPO aufgehoben, da die Beschwerdeführerin dem Gericht die Änderung Ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Mit Nichtabhilfebeschluss stützt das AG seine Aufhebung erneut auf § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (40R VK).
2. Die nach §§ 76 Abs. 2 FamFG; 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Der vom AG wiederholt herangezogene Aufhebungstatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO liegt schon auf erste Sicht nicht vor.
Eine Aufhebung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO scheitert an der fehlenden Feststellbarkeit einer groben Nachlässigkeit; zudem wäre aufgrund einer atypischen Sachlage ein besonderes Aufhebungsermessen eröffnet und der angefochtene Beschluss schon mangels Einbeziehung der mit ihm verbunden Härte nicht tragfähig.
a) Die Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erfordert eine besondere Sorglosigkeit. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit. Danach handelt grob nachlässig nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (in diesem Sinne auch: BeckOK ZPO/Kratz Stand 1.9.2016 ZPO § 124 Rn. 18; Musielak/Voit/Fischer ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 5; zum Begriff der groben Nachlässigkeit in § 296 Abs. 2 ZPO vgl. BGH 30.3.2006 - VII ZR 139/05 - Rn. 4). Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob nachlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. etwa BGH Urteil v. 11.7.2007 - XII ZR 197/05 - Rn. 15).
Im gegebenen Fall muss es keineswegs jedem um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Beteiligten unmittelbar einleuchten, dass die Pflicht zur Anschriftenänderung auch dann höchstpersönlich und unverzüglich gegenüber dem AG zu erfüllen ist, wenn dieses dem Antragsteller einen Rechtsanwalt beigeordnet hat. Mit der Beiordnung (§ 78 FamFG) rückt der beigeordnete Rechtsanwalt gegenüber dem AG in die Rolle des maßgeblichen Ansprechpartners. Hier dauerte das Hauptsacheverfahren bei Erlass der Aufhebung noch an und selbst nach dem formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens haben Zustellungen im Verfahrenskostenhilfeüberprüfungsverfahren (§§ 120a, 124 ZPO) gemäß § 172 Abs. 1 ZPO an den beigeordneten Rechtsanwalt zu erfolgen, wenn dieser den Beteiligten auch im Verfahrenskostenhilfeverfahren vertreten hat (vgl. BGH FamRZ 2011, 463), wobei das Adressierungsgebot aus § 172 ZPO gleichermaßen für formlose Mitteilungen gilt (vgl. Stöber in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 172 ZPO, Rn. 2 m.w.N., BeckOK ZPO/Dörndorfer ZPO § 172 Rn. 1, Stand: 1.3.2016; Senat Beschl. v. 23.08.2016 -13 WF 205/16 - FuR 2017, 32).
Kann aber der Beteiligte den ihm beigeordneten Rechtsanwalt als seinen für die Gerichtskommunikation maßgeblichen Ansprechpartner ansehen und bleibt er für ihn erreichbar, so kann dies Zweifel an einem subjektiv unentschuldbaren Verhalten, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt, wecken. Aufheben darf das Gericht die Verfahrenskostenhilfebewilligung hingegen nur dann, wenn die Voraussetzungen eines Aufhebungsgrundes zweifelsfrei feststehen. Zweifel gehen nicht zu Lasten des Hilfsbedürftigen, sondern verhindern eine Aufhebung (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1993, 391). Bei der Beweiswürdigung kann zwar gegen ihn verwertet werden, wenn er sich an der Aufklärung nicht beteiligt oder sie zu erschweren oder zu verhindern trachtet (vgl. Geimer in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 124, Rn. 22 m.w.N.). Indessen ist für ein derartiges Verdunkelungsverhalten hier nichts feststellbar; vielmehr hat die Beschwerdeführerin sich offensichtlich beim Einwohnermeldeamt ordnungsgemäß umgemeldet un...