Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    War der Angeklagte "bei Beginn der Hauptverhandlung" erschienen und die Hauptverhandlung wegen Ausbleibens des Verteidigers des Angeklagten unterbrochen worden, so kann die spätere Abwesenheit des Angeklagten nach erneutem Aufruf die Verwerfung der Berufung gem. § 329 Abs. 1 StPO nicht rechtfertigen. Vielmehr hätte das Berufungsgericht nach §§ 231 Abs. 2, 332 StPO verfahren müssen.

  • 2.

    Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung im Wege der Analogie zu § 329 Abs. 3 StPO zu gewähren, da er zu Unrecht als säumig behandelt worden ist. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in diesen Fällen beruht auf der Überlegung, dass derjenige, der zu Beginn der Hauptverhandlung nicht säumig war, aber zu Unrecht als säumig behandelt worden ist, einem schuldlos Säumigen gleichgestellt werden muss (ähnlich Senatsbeschluss vom 22.10.2004 - 1 Ws 151/04 -; Senatsbeschluss vom 8.9.2009 - 1 Ss 53/09).

 

Normenkette

StPO §§ 44, 231 Abs. 2, §§ 329, 332

 

Tenor

  • 1.

    Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 30. Juli 2009 aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Landeskasse auferlegt.

  • 2.

    Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung gewährt.

  • 3.

    Das Verwerfungsurteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 2. Juni 2009 und die dagegen erhobene Revision sind gegenstandslos.

  • 4.

    Auf die Beschwerde des Verteidigers des Angeklagten wird der Beschluss der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 2. Juni 2009 über die Auferlegung der Kosten hinsichtlich der Aussetzung der Hauptverhandlung aufgehoben. Die insoweit im Beschwerdeverfahren entstandenen Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

  • 5.

    Der Antrag des Angeklagten, die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben und den Führerschein an den Angeklagten herauszugeben, wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat dem Rechtsmittelführer mit Anklage vom 15. Oktober 2008 die Begehung des Verbrechens eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in der Absicht der Verdeckung einer Straftat gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 iVm. § 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. b 2. Var. StGB in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Beisichführen eine Waffe gem. § 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr gem. § 316 StGB sowie in Tatmehrheit dazu Bestechung vorgeworfen. Der Angeklagte soll in der Nacht zum 26. Juli 2008 nach vorangegangenem erheblichem Alkoholgenuss in fahruntüchtigem Zustand gegen 2:15 Uhr mit dem Pkw Opel, amtliches ...., die Bundesstraße 109 in Kenntnis der eigenen Fahruntüchtigkeit befahren haben. Als der Angeklagte im Bereich des Straßenabschnittes 95 durch die Polizeibeamtin Kluge einer Verkehrskontrolle unterzogen werden sollte und durch Haltekelle zum Anhalten aufgefordert worden war, sei er mit unverminderter Geschwindigkeit auf die ihn zum Anhalten auffordernde Polizeibeamtin zugefahren.

Die wegen des eingeschalteten Blaulichtes am Funkstreifenwagen und der von ihr geschwenkten Haltekelle sowie mit einer signalgelben Warnweste deutlich sichtbare Polizeibeamtin habe nur durch einen reaktionsschnellen Sprung von der Fahrbahn einer Frontalkollision mit dem vom Angeklagten geführten Fahrzeug ausweichen können. Hierdurch habe der Angeklagte seine ungehinderte Weiterfahrt erzwingen und der Aufdeckung seiner Trunkenheitsfahrt entgehen wollen. Eine um 4:21 Uhr entnommen Blutprobe habe eine Alkoholkonzentration von 1,95 mg/g ergeben. Des Weiteren soll der Angeklagte auf dem Weg zur Polizeiwache gegenüber den Polizeibeamten geäußert haben: "Fahrt doch dort zur Tankstelle, ich geb' euch einen Kaffee aus, na das wird nicht reichen, dann mach ich euch auch noch den Tank voll, dann verschwinde ich und wir vergessen die ganze Angelegenheit, es war ja nicht so schlimm, es weis ja niemand davon."

Mit Urteil vom 23. Februar 2009 hat das Amtsgericht Zehdenick den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen je 50,00 EUR verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen sowie eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von 6 Monaten verhängt. Im Übrigen hat das Amtsgericht den Angeklagten freigesprochen.

Gegen diese Entscheidung haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Neuruppin, letztere zum Nachteil des Angeklagten, jeweils am 24. Februar 2009 Berufung eingelegt. Der Angeklagte hat seine Berufung nicht, die Staatsanwaltschaft unter dem Datum des 14. April 2009 begründet. Mit der Berufung strebt die Staatsanwaltschaft Neuruppin eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe (auch) wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen Bestechung an.

Mit Verfügung vom 15. Mai 2009 hat der Vorsitzend...

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