Verfahrensgang

LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 04.04.2019; Aktenzeichen 25 Ns 95/18)

AG Eberswalde (Aktenzeichen 11 Ds 193/17)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 5. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. April 2019 aufgehoben. Die zum Tatgeschehen getroffenen tatsächlichen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Eberswalde verhängte gegen den Angeklagten durch Urteil vom 29. März 2018 wegen Wuchers eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 € und ordnete die Einziehung von 600 € an. Auf die Berufung des Angeklagten erkannte das Landgericht durch Urteil vom 4. April 2019 auf eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 € und hielt die Entscheidung zur Einziehung von Wertersatz aufrecht.

Nach den getroffenen Feststellungen bestellte die am ... Juni 1934 geborene, gebrechliche und an Diabetes erkrankte Zeugin E... am Nachmittag des ... Oktober 2014 mithilfe ihres Nachbarn, des Zeugen R..., telefonisch den Schlüsseldienst, nachdem sie sich aus ihrer Wohnung in einer von den Johannitern betriebenen Wohneinrichtung für Senioren im Ei..., ... Sch..., ausgeschlossen hatte. Nach einer Wartezeit von ca. zwei Stunden erschien gegen 19:27 Uhr der Angeklagte und erklärte der Zeugin, "dass er die Wohnungstür nur öffnen würde, wenn sie zuvor einen entsprechenden Auftrag unterschreibt, was die Zeugin auch tat." Der Angeklagte bohrte den Schließzylinder der verschlossenen Wohnungstür auf, öffnete die Tür und baute einen neuen Schließzylinder ein. Die Zeugin bezahlte die ihr vom Angeklagten hierfür in Rechnung gestellten 797,90 € vor Ort zum Teil in bar (600 €), zum Teil (197,90 €) per EC-Karte. Nicht festgestellt werden konnte, ob der Angeklagte den Rechnungsbetrag bereits vor dem Öffnen der Tür verlangte und kassierte oder erst nach Durchführung der Türöffnung. Für die durchgeführten Arbeiten des Angeklagten wäre lediglich ein Betrag von 200 € wirtschaftlich angemessen gewesen.

Das Landgericht hat das festgestellte Tatgeschehen als Wucher im Sinne von § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB gewertet, weil der Angeklagte die Unerfahrenheit der Zeugin ausgebeutet habe. "Bei kaufmännisch schwierigen Geschäften" sei "weniger auf eine durchschnittliche Erfahrenheit als vielmehr auf einen der Geschäftsart typischen Informationsmangel auf Opferseite abzustellen". Entsprechendes gelte für die vom Angeklagten erstellte Rechnung, "die durch das Aufführen diverser Einzelpositionen" suggeriere, "seriös erstellt zu sein". Dass dies tatsächlich nicht der Fall gewesen sei, könne "eine sonst mit Schlüsseldiensten nicht befasste Rentnerin zwar erahnen, aber nicht im Einzelnen beurteilen."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat überwiegend Erfolg und führt aufgrund der erhobenen Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Die tatgerichtliche Bewertung des festgestellten Sachverhaltes als Wucher (§ 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) durch Ausbeutung der Unerfahrenheit hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

Dass die Zeugin sich mit den für die Inanspruchnahme von Schlüsseldiensten geltenden Preisen und Gepflogenheiten nicht auskannte und die Angemessenheit der vom Angeklagten in Rechnung gestellten Vergütung nicht zuverlässig und sachkundig beurteilen konnte, genügt für das Vorliegen einer Unerfahrenheit im Sinne der Norm nicht. Der insoweit erforderliche Mangel an Lebenserfahrung oder Geschäftskenntnis muss den Bewucherten dem Durchschnittsmenschen gegenüber benachteiligen; bloße Informationsmängel hinsichtlich des abzuschließenden einzelnen Geschäfts oder das Fehlen von Spezialkenntnissen sind insoweit grundsätzlich nicht ausreichend (vgl. MünchKomm-StGB/Pananis, 3. Aufl. § 291 Rn. 17; BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg/Schmidt, § 291 Rn. 25 mwN.). Eine vom durchschnittlichen Erfahrungsstand der Bevölkerung abweichende besondere Unkenntnis und geschäftliche Unerfahrenheit bei der Zeugin hat das Landgericht nicht festgestellt, sondern darauf verwiesen, dass nicht nur die Zeugin, sondern auch die Kammer "sich diesbezüglich sachverständig beraten lassen musste" (UA, S. 10). Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung lässt sich eine Unerfahrenheit auch nicht daraus herleiten, dass die Zeugin zum Tatzeitpunkt 80 Jahre alt, gebrechlich, an Diabetes erkrankt und erkennbar hilfsbedürftig war. Die in den Urteilsgründen dargestellten Angaben der Zeugin, sie "habe zufällig gehört, dass zwei Tage vorher ein Mitbewohner einen Schlüsseldienst angerufen" habe und "der Herr R... nicht mal 100 €" habe "...

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