Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrenspflegervergütung: Notwendigkeit der Anhörung eines Kindes in der Kita bzw. in der Pflegefamilie; Erforderlichkeit der Interaktionsbeobachtung zwischen Kindesmutter und Kindern
Leitsatz (amtlich)
1. Der geltend gemachte Aufwand eines Verfahrenspflegers ist einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen.
2. Dem Verfahrenspfleger steht im Rahmen der Aufgabenstellung zur Beurteilung der Frage, wie der Kindeswille im konkreten Fall zu ermitteln ist, ein Ermessensspielraum zu. Von mehreren gleichwertigen Alternativen hat er jedoch diejenige zu wählen, die die Parteien bzw. die Allgemeinheit am wenigsten belastet.
3. Die Anhörung des Kindes in der Pflegefamilie und auch eine Interaktionsbeobachtung mit Mutter und Brüdern kann sachlich geboten sein.
4. Ist die Frage häuslicher Gewalt zu klären, kann die Anhörung eines Kindes in der Kita erforderlich sein.
Normenkette
BGB § 1835 Abs. 1, § 1836 Abs. 1 S. 2; VBVG §§ 1, 4; FGG § 50 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Bad Liebenwerda (Beschluss vom 23.05.2008; Aktenzeichen 22 F 255/06) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des AG Bad Liebenwerda vom 23.5.2008 - Az. 22 F 255/06 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung und der Aufwendungsersatz für die Verfahrenspflegerin wird für die Zeit vom 17.8.2006 bis zum 13.11.2007 auf 572,63 EUR festgesetzt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 50 Abs. 5, 67a Abs. 5, 56g Abs. 5 Satz 1 FGG i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und in zulässiger Weise eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis der Landeskasse ergibt sich aus § 20 Abs. 1 FGG. Der Beschwerdewert übersteigt 150 EUR. Das AG hat mit Beschluss vom 23.5.2008 die Erstattung der Vergütung für die Verfahrenspflegerin i.H.v. 668,30 EUR festgesetzt. Gegen den am 5.6.2008 zugestellten Beschluss hat der Bezirksrevisor mit am 9.6.2008 eingegangenem Schriftsatz Rechtsmittel eingelegt mit dem Ziel einer um die Fahrtkosten zu den Anhörungsterminen der Kinder verringerten Festsetzung der Vergütung und Auslagen. Für die Fahrtkosten am 24.10., 1.11.2006, 04.05., 15.05. und 23.5.2007 sind nach der berichtigten Rechnung der Verfahrenspflegerin Zeitaufwendungen von 415 Minuten × 20,70 EUR = 143,18 EUR und Fahrkosten von 383 km × 0,26 EUR = 99,58 EUR, mithin insgesamt 242,76 EUR festgesetzt worden. Der Beschwerdewert beträgt somit 242,76 EUR.
Die sofortige Beschwerde ist teilweise begründet. Für die Anhörungen der Kinder T. und S. im Mai 2007 können nur die Kosten für eine Fahrt zur Kita in R. angesetzt werden.
Der Verfahrenspflegerin steht für ihre Tätigkeit im Abrechnungszeitraum ein Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen sowie auf Vergütung aus der Staatskasse entsprechend §§ 1835 Abs. 1; 1836 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. § 67a Abs. 1, 2 FGG, §§ 1, 4 VBVG zu. Dieser Ersatzanspruch bezieht sich auf diejenigen Zeiten und Aufwendungen, welche Tätigkeiten betreffen, die der Erfüllung der vom Gesetz dem Verfahrenspfleger zugewiesenen Aufgaben dienen (BVerfG, FuR 2004, 622/624; OLG Oldenburg FamRZ 2005, 391). Vergütet wird der für die Erfüllung der Aufgaben notwendige Zeitaufwand, gemessen daran, was ein sorgfältig arbeitender, gewissenhafter Verfahrenspfleger zur Wahrnehmung seiner Aufgaben als notwendig ansehen würde. Nach diesen Maßstäben ist der geltend gemachte Aufwand einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen (ständige Rechtsprechung des OLG Brandenburg FamRZ 2006, 1777; FG Prax 2004, 73/74; ZfJ 2002, 233; FamRZ 2001, 692; s. auch OLG Oldenburg, a.a.O.).
Nach § 50 Abs. 1 FGG hat das Gericht dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren zu bestellen, sobald dies zur Wahrnehmung der Kindesinteressen erforderlich ist. Schon daraus ist zu erkennen, dass der Verfahrenspfleger für die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens an die Stelle des gesetzlichen Vertreters des Kindes tritt und an dessen Stelle die Kindesinteressen in das Verfahren einzubringen hat. Der Verfahrenspfleger hat nur das eigene Interesse des Kindes zu erkennen und zu formulieren (so ausdrücklich: BVerfG FamRZ 1999, 85/87); er hat darauf hinzuwirken, dass das Verfahren - soweit dies möglich ist - kindgerecht gestaltet wird und dem Kind in dem Verfahren bei Bedarf zur Seite zu stehen. All dies charakterisiert den Verfahrenspfleger als subjektiven Interessenvertreter des Kindes. Seine Aufgabenstellung im Verfahren ist derjenigen eines Rechtsanwaltes als Verfahrensbevollmächtigtem vergleichbar. Es ist dagegen nicht seine Aufgabe, sich an der Erforschung der dem objektiven Kindeswohl am besten dienenden Entscheidung zu beteiligen. Insbesondere hat er keine über die bloße Ermittlung des Kindeswillens hinausgehenden Ermittlungen anzustellen (vgl. dazu insgesamt: OLG Brandenburg FamRZ 2001, 692). Hier ergeben sich schon im Hinblick auf die Wahrnehmung der Aufgaben aus den Berichten der Verfahrenspflegerin Bedenken, ob nicht der Aufgabenkreis deutlich überschritten worden ist. Es finden sich Ausfüh...