Leitsatz (amtlich)

Leistungen nach dem SGB II sind verfahrenswertbestimmend für das Scheidungsverfahren.

 

Verfahrensgang

AG Bad Liebenwerda (Beschluss vom 22.10.2009; Aktenzeichen 20 F 193/08)

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Verfahrensbevollmächtigten der Parteien wird der im Urteil vom 22.10.2009 enthaltene Beschluss des AG Bad Liebenwerda - Az. 20 F 193/08 - hinsichtlich der Festsetzung des Streitwertes teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Gegenstandswert für die Ehescheidung wird auf 3.745,50 EUR festgesetzt, der Gegenstandswert für das Verfahren auf Versorgungsausgleich auf 1.000 EUR.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 600 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Zwischen den Beteiligten war eine Ehesache vor dem AG Bad Liebenwerda anhängig. Der Ehemann bezog bei Einleitung des Verfahrens eine monatliche Rente i.H.v. 618 EUR monatlich, die Ehefrau Leistungen nach dem ALG II i.H.v. 630,50 EUR monatlich. Mit Scheidungsurteil vom 22.10.2009 hat das AG den Gegenstandswert für die Scheidung auf 2.000 EUR festgesetzt. Hiergegen hat zunächst die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 25.11.2009 Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den Gegenstandswert für das Scheidungsverfahren auf 3.745,50 EUR festzusetzen. Dem haben sich die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit Beschwerde vom 26.11.2009 angeschlossen.

Im Nichtabhilfebeschluss vom 11.1.2010 hat das AG ausgeführt, ALG II sei als Einkommen im Rahmen des § 48 Abs. 2 GKG nicht zu berücksichtigen, da dies der ständigen Rechtsprechung des Senats entspreche.

II. Die Beschwerden sind dahin auszulegen, dass sie jeweils im eigenen Namen der Verfahrensbevollmächtigten eingelegt worden sind, da das Interesse sich darauf richtet, eine Erhöhung des Streitwertes zu erzielen. Die Rechtsmittel sind gem. §§ 68 Abs. 1 S. 1, 63 Abs. 3 S. 2; 66 Abs. 5 S. 1 und 2 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 RVG zulässig. Insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes jeweils 200 EUR. Dieser errechnet sich aus der Differenz der sich nach der vom AG getroffenen Wertfestsetzung ergebenden Gebühren der Beschwerdeführer im Vergleich zu den sich aus der begehrten Wertfestsetzung ergebenden Gebühren. Dabei ist trotz der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe, die für beide Seiten erfolgt ist, auf die Wahlanwaltsgebühren abzustellen, weil sich nicht ausschließen lässt, dass die Bewilligung der Prozesskostenhilfe wieder aufgehoben wird, woraus sich ein Anspruch der Bevollmächtigten auf Wahlanwaltsgebühren ergeben würde.

Bei einem Gesamtstreitwert von 3.000 EUR für das Verbundverfahren, wie festgesetzt, ergibt sich ein Anspruch der Rechtsanwälte (Verfahrens- und Terminsgebühren) von insgesamt 2,5 Gebühren nach einem Wert von 189 EUR. Daraus folgt ein Gesamtanspruch einschließlich Umsatzsteuer von rd. 586 EUR. Bei einem Gegenstandswert von insgesamt 4.745,50 EUR beträgt die einfache Gebühr 301 EUR, so dass sich jeweils ein Anspruch einschließlich Umsatzsteuer i.H.v. rd. 920 EUR ergäbe. Die Differenz beträgt jeweils 334 EUR.

Die Rechtsmittel sind auch begründet.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes richtet sich hier nach § 48 Abs. 2; Abs. 3 S. 1 GKG a.F. Insoweit hat das AG zutreffend auf das Nettoeinkommen der Parteien abgestellt. Fraglich ist, ob zum Nettoeinkommen der Ehefrau die von dieser bezogenen ALG II-Leistungen hinzuzurechnen sind. Ob und inwieweit derartige Sozialleistungen als Einkommen i.S.d. § 48 Abs. 3 S. 1 GKG anzusehen sind und dabei den Wert für das Ehescheidungsverfahren beeinflussen, ist in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor umstritten. Nach einer Ansicht, die der Senat bislang vertreten hat (FamRZ 2003, 1676), sind Transferleistungen, die ohne Gegenleistungen bezogen werden und zu denen ALG II-Leistungen gehören, nicht einkommensbestimmend, weil sie nicht Ausdruck der Leistungsfähigkeit der Eheleute sind, sondern Ausdruck von deren Bedürftigkeit (so auch: OLG Schleswig, FamRZ 2010, 1939; OLG Jena, FamRZ 2010, 1934; OLG Hamm, FamRZ 2009, 543; OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 807; OLG Celle, FamRZ 2006, 1690; OLG Dresden, FamRZ 2007, 1760; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 3 Rz. 32; Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., § 3 Rz. 16 "Ehesachen"). Das BVerfG hat diese Rechtsprechung für mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar gehalten, sie andererseits jedoch nicht als verbindlich angesehen (FamRZ 2006, 841).

Nach der Gegenansicht beeinflussen Sozialleistungen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten unabhängig von der Zweckbestimmung der Leistungen. Für die wirtschaftliche Situation sei es unerheblich, aus welcher Quelle das Einkommen fließe. Für die Berücksichtigung von ALG II spreche auch, dass die Unterhaltsleitlinien verschiedener OLG dieses jedenfalls auf Seiten des Verpflichteten als Einkommen berücksichtigten (OLG Schleswig, FamRZ 2009, 75; OLG Düsseldorf, FamRZ 2009, 453; OLG Köln, FamRZ 2009, 638; OLG Frankfurt, FamRZ 2008, 535; Götsche, Juris PR-FamR 16/2009 Anmerkung 2; Prütting/Helms/Klüsener, FamFG, § 43 FamGKG, Rz....

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