Verfahrensgang

AG Oranienburg (Entscheidung vom 30.08.2021; Aktenzeichen 13 e OWi 332 Js 20242/21 (402/21)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 30. August 2021 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgericht Oranienburg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Oranienburg verhängte gegen den Betroffenen mit Urteil vom 30. August 2021 wegen "vorsätzlicher Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 121 Abs. 1 [Nr.] 6 in Verbindung mit §§ 23 I 1, 51 Abs. 1 Satz 2 SGB XI" eine Geldbuße von 582,00 €. Nach den getroffenen Feststellungen schloss der Betroffene bei der privaten Krankenversicherung ... am 1. März 2002 zusammen mit einer privaten Krankenversicherung einen Vertrag zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Bereits im Jahr 2014 sei der Vertrag "notleidend" geworden, da der Betroffene mit Prämienzahlungen in Rückstand geraten sei. Die Pflegeversicherung sei seit dem 1. Januar 2015 "unbezahlt".

Unter dem Datum des 19. Mai 2020 habe die ... Krankenversicherung dem Betroffenen ein Erinnerungsschreiben zugesandt. Da für den Zeitraum 1. Juni 2021 bis zum 2. Dezember 2021 keine Beiträge gezahlt worden seien, habe die ... das Bundesversicherungsamt informiert (vgl. § 51 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Die Höhe des Beitragsrückstandes zwischen dem 1. Juni 2021 und dem 2. Dezember 2021 belaufe sich auf 1.809,48 €.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene vor der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Oranienburg Rechtsbeschwerde eingelegt und sinngemäß die Sachrüge erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 15. Dezember 2021 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 30. August 2021 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückzuverweisen.

II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere entsprechend den § 79 Abs. 3 OWiG, § 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil das angefochtene Urteil einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht standhält. Die getroffenen Feststellungen sind unzureichend und tragen den Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI nicht, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig mit der Entrichtung von sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung in Verzug gerät.

a) Den Beschlussgründen ist zwar zu entnehmen, dass sich der Betroffene gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert hat und demgemäß auch zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit bei diesem Unternehmen verpflichtet war (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Der Tatbestand des § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, der einen Rückstand von mindestens sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung sanktioniert (vgl. Bassen in: Udsching, SGB XI, 3. Aufl. § 121 Rn. 8; Krahmer/Stier in: Klie/Krahmer/Plantholz, SGB XI, 4. Aufl., § 212 Rn. 12), setzt voraus, dass aufgrund des Abschlusses einer privaten Krankenversicherung eine Pflicht zur privaten Pflegeversicherung besteht (vgl. BT-Drucksache 12/5262, S. 155f.; 12/5952, S. 50). Die Versicherungspflicht entfällt insoweit erst bei - zulässiger - Beendigung der privaten Krankenversicherung.

Das Amtsgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass die Verwirklichung des Tatbestandes eine Leistungsfähigkeit des Betroffenen voraussetzt, und hat hierzu Näheres nicht festgestellt. Bei § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. zur Abgrenzung KK-Rengier, OWiG, 6. Aufl., § 8 Rdnr. 8), das nach allgemeinen Grundsätzen als zusätzliches Tatbestandsmerkmal voraussetzt, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist (vgl. BGHSt 47, 318ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04. Januar 2012, L 5 AS 455/11, zit. n. juris; Gürtler/Thoma in: Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 8 Rnr. 7; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 13 Rn. 44; siehe auch § 266a Rdnr. 14f.). Deshalb fehlt es an der Vorwerfbarkeit der Nichtentrichtung der Versicherungsprämien, wenn dem Betroffenen aufgrund schlechter finanzieller und wirtschaftlicher Verhältnisse eine Prämienzahlung im Einzelfall nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar ist. Dass er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts für seine finanzielle Leistungsfähigkeit verschuldensunabhängig einzustehen hat, ist für die Frage der Vorwerfbarkeit eines bußgeldbewehrten Unterlassens irrelevant.

Das Amtsgericht hat in den Entscheidungsgründen lediglich ausgeführt, dass sich der Betroffene dahin eingelassen habe, nicht in...

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