Leitsatz (amtlich)
Die Zustellung eines Vollstreckungstitels ist erforderlich, um durch Urkunden einfach nachweisen zu können, dass der Schuldner Gelegenheit hatte, den Inhalt der zu vollstreckenden Verpflichtung zur Kenntnis zu nehmen. Diese den Schuldner schützende Wirkung hat auch die - wenn auch überobligatorische - Zustellung eines Vergleichs im Amtsbetrieb.
Ein Vergleich, in den die einvernehmliche Regelung über den Umgang mit einem Kind aufgenommen wird, eignet sich nur dann als Vollstreckungstitel, wenn alle Beteiligten ihr Einvernehmen erklärt haben. Zu den Beteiligten zählt der bestellte Verfahrensbeistand. Sein ausdrücklich erklärtes Einvernehmen ist Voraussetzung für die gerichtliche Billigung, und ohne das Einvernehmen kann auch trotz dennoch erteilter Billigung ein Vollstreckungstitel nicht entstehen.
Normenkette
FamFG § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 95 Nr. 4, § 156 Abs. 2; ZPO § 795 S. 1, § 750 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Neuruppin (Beschluss vom 09.09.2016; Aktenzeichen 52 F 98/15) |
Tenor
Dem Schuldner wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt..., beigeordnet.
Auf die Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des AG Neuruppin vom 9.9.2016 abgeändert:
Der Antrag der Gläubigerin wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Gläubigerin.
Gründe
Der Schuldner wendet sich gegen die Festsetzung von Ordnungsgeld zur Vollstreckung eines Umgangsvergleichs.
I. Die Gläubigerin betreibt die Vollstreckung aus einem vor dem AG Neuruppin mit der Schuldnerin geschlossenen gerichtlich gebilligten Vergleich, mit dem die Beteiligten den Umgang mit einem gemeinsamen Kind geregelt haben (Bl. 40 HA).
Auf den Antrag der Gläubigerin, wegen des Scheiterns eines Umgangstermins, das die Gläubigerin der Verantwortung des Schuldners zugewiesen hat, Zwangsmittel festzusetzen (Bl. 1 ff.), hat das AG mit dem angefochtenen Beschluss ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, festgesetzt. Mit seiner Beschwerde wendet der Schuldner ein, er habe das Scheitern des Umgangs nicht zu vertreten, weil das Kind den Umgang aus berechtigten Gründen ablehne.
II. Die Beschwerde ist begründet.
Der Vollstreckungsantrag ist unzulässig, weil allgemeine und besondere Vollstreckungsvoraussetzungen nicht gegeben sind.
1. Die Zustellung des aufgenommenen Protokolls an den Schuldner (§§ 95 I Nr. 3, 4 FamFG, 795 S. 1, 750 I ZPO) fehlt.
Die Ansicht, ein nicht vom Gericht, sondern von den Beteiligten errichteter Titel müsse auf Betreiben des Gläubigers zugestellt werden (MüKo-ZPO-Heßler, 5. Aufl. 2016, § 750 Rdnr. 66; Musielak/Voit-Lackmann, 13. Aufl. 2016, § 750 Rdnr. 18; Wieczorek/Schütze-Paulus, ZPO, 3. Aufl. 1999, § 795 Rdnr. 13; Zöller-Stöber, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 795 Rdnr. 1), teilt der Senat nicht. Die Zustellung ist erforderlich, um durch Urkunden einfach nachweisen zu können, dass der Schuldner Gelegenheit hatte, den Inhalt der zu vollstreckenden Verpflichtung zur Kenntnis zu nehmen. Diese den Schuldner schützende Wirkung hat auch die - wenn auch überobligatorische - Zustellung im Amtsbetrieb (Senat, NJOZ 2016, 1538, Abs. 14; NJW-RR 2015, 520 = FamRZ 2015, 1224, 1225; Prütting/Helms-Hammer, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 87 Rdnr. 8; Stein/Jonas-Münzberg, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 750 Rdnr. 33; Wieczorek/Schütze-Salzmann, § 750 Rdnr. 26) und ebenso die vom Schuldner selbst veranlasste Zustellung des Titels an den ebenfalls verpflichteten Gläubiger (Schuschke/Walker, Vollstreckung, 5. Aufl. 2011, § 750 Rdnr. 24).
Indes ist keine dieser Zustellungen den Akten zu entnehmen. Die Gläubigerin hat eine von ihr veranlasste oder an sie gerichtete Zustellung nicht nachgewiesen. Die auf das Protokoll folgende Verfügung des AG (Bl. 41 HA) enthält allein die mit einem Erledigungsvermerk versehene Anordnung, das Protokoll den Beteiligten zu übersenden. Die Zustellung ist nicht angeordnet worden.
2. Die besonderen Voraussetzungen der Vollstreckung wegen einer Zuwiderhandlung gegen einen Titel zur Regelung des Umgangs sind teilweise nicht erfüllt, andernteils nicht nachprüfbar.
a) Dem geschlossenen Vergleich fehlt das Einvernehmen eines Beteiligten.
Ein Vergleich, in den die einvernehmliche Regelung über den Umgang mit einem Kind aufgenommen wird, eignet sich nur dann als Vollstreckungstitel (§ 86 I Nr. 2 FamFG), wenn alle Beteiligten ihr Einvernehmen erklärt haben (§ 156 II 1 FamFG). Zu den Beteiligten zählt gemäß § 158 III 2 FamFG der bestellte Verfahrensbeistand. Sein ausdrücklich erklärtes Einvernehmen ist Voraussetzung für die gerichtliche Billigung, und ohne das Einvernehmen kann auch trotz dennoch erteilter Billigung ein Vollstreckungstitel nicht entstehen (Musielak/Borth-Borth/Grandel, FamFG, 5. Aufl. 2015, § 156 Rdnr. 9; Prütting/Helms-Hammer, § 156 Rdnr. 50, 52; Zöller-Lorenz, § 156 FamFG Rdnr. 4). Ob eine verfassungskonform einschränkende Auslegung und Anwendung des § 156 II FamFG erforderlich ist, wenn einer der institutionell Beteiligten - das Jugendamt, der Verfahrensbeistand - ihr Einvernehmen grundlos oder aus nicht anerkennen...