Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 04.12.2003; Aktenzeichen 41 BRH 60/00) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. Dezember 2003 aufgehoben, soweit der Rehabilitierungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen wurde.
Im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird die Sache zur erneuten Befassung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.
Die dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Der Betroffene beantragte seine strafrechtliche Rehabilitierung wegen vier Verurteilungen durch das Kreisgericht A... in den Jahren 1970, 1972, 1975 und 1977.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Frankfurt (Oder) das Urteil des Kreisgerichts A... vom 9. April 1975 - S 43/75 - in der Fassung des Urteils des Bezirksgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Mai 1975 - 1 BSB 144/75 -, durch das der Betroffene wegen mehrfachen Widerstandes gegen staatliche Maßnahmen in teilweiser Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie besonderen Maßnahmen zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung gemäß § 47 Abs. 1 StGB/DDR verurteilt worden war, für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, soweit der Antragsteller betroffen und zu mehr als einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden war. Weiter hat die Kammer festgestellt, dass die vom Betroffenen zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung im Zeitraum vom 22. März 1975 bis zum 21. Dezember 1976 sechs Monate gedauert hat.
Im Übrigen hat die Kammer den Rehabilitierungsantrag des Betroffene zurückgewiesen.
Mit der dagegen rechtzeitig eingelegten Beschwerde erstrebt der Betroffene seine umfassende Rehabilitierung.
II.
Das Rechtsmittel des Betroffenen führt zu einem vorläufigen Erfolg, weil die Kammer bei der angefochtenen Entscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt war.
Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 StrRehaG darf an einer Rehabilitierungsentscheidung nicht mehr als ein Richter mitwirken, der vor dem 3. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet als Berufsrichter oder Staatsanwalt tätig war. Bei der angefochtenen Entscheidung haben jedoch zwei Richter mitgewirkt - die Vorsitzende Richterin am Landgericht Dr. H... und der Richter am Landgericht R... -, die vor dem 3. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet als Berufsrichter oder Staatsanwalt tätig waren.
Die fehlerhafte Besetzung der Rehabilitierungskammer stellt einen schweren Verfahrensmangel dar, der zunächst zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt, soweit der Rehabilitierungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen wurde. Wenngleich die Rehabilitierungskammer in der gegen § 9 Abs. 2 Satz 2 StrRehaG verstoßenden Besetzung über den Rehabilitierungsantrag des Betroffenen überhaupt nicht entscheiden durfte, diesen also weder zurückweisen noch ihm stattgeben durfte, ist der Senat an der Aufhebung des den Betroffenen begünstigenden Teils der angefochtenen Entscheidung gehindert. Dies folgt aus dem Verbot der Schlechterstellung, das zu Gunsten des Betroffenen nach § 15 StrRehaG im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren in entsprechender Anwendung der §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 Satz 1, 373 Abs. 2 Satz 1 StPO gilt (vgl. OLG Brandenburg VIZ 1995, 486 f; OLG Naumburg VIZ 1993, 566 f).
Das strafprozessuale Verbot der Schlechterstellung ist keine zwingende Folge des Rechtsstaatsprinzips, sondern eine dem Angeklagten vom Gesetzgeber gewährte Rechtswohltat, der der Gedanke zu Grunde liegt, dass er von der Einlegung von Rechtsmitteln gegen ein Urteil nicht durch die Besorgnis abgehalten werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil entstehen (Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, zu § 331 Rn. 1 m.w.N.). Die Strafprozessordnung verbietet die Schlechterstellung des Angeklagten durch Entscheidungen, die auf eine von ihm oder zu seinen Gunsten eingelegte Berufung (§ 331 Abs. 1 StPO), Revision (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) oder nach erfolgreichem Wiederaufnahmeantrag (§ 373 Abs. 2 Satz 1 StPO) ergehen. Die vorgenannten strafprozessualen Vorschriften sind im Rehabilitierungsverfahren entsprechend anwendbar, weil dem Urteil im Strafverfahren als wichtigster Sach- und Prozessentscheidung die Rehabilitierungsentscheidung im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren entspricht.
Der in der fehlerhaften Besetzung der Rehabilitierungskammer liegende Verfahrensmangel wiegt so schwer, dass der Senat abweichend von § 309 Abs. 2 StPO nicht in der Sache selbst entscheidet, sondern die Sache im Umfang der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur erneuten Befassung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverweist (vgl. Senat vom 8. März 2004 - 2 Ws (Reha) 26/03 - und vom 9. März 2004 - 2 Ws (Reha) 22/03 - sowie Meyer-Goßner, a.a.O., § 309 Rn. 8 zum Fall der Mitwirkung eines nach § 22 StPO ausgeschlossenen Richters ...