Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergabeverfahren - Rechtzeitige Rüge von Vergabeverstößen/Berücksichtigung von Nebenangeboten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sind in einem Vergabeverfahren die Rechtsfragen komplex und haben sowohl der Auftraggeber als auch der übergangene Bieter gute Gründe, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen, beträgt die Rügefrist eine Woche. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der übergangene Bieter zunächst bei den späteren Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen Rechtsrat hat einholen wollen, diese das Mandat jedoch wegen Interessenkollision abgelehnt haben.

2. Vergisst ein Bieter, in seinem Angebot Preisbestandteile zu kalkulieren, und erklärt er auf Nachfrage des Auftraggebers, sich dennoch an seinen im Angebot angegebenen Preisen festhalten lassen zu wollen, liegt darin keine unzulässige Mischkalkulation, die den Ausschluss seines Angebotes rechtfertigen würde.

3. Feilt ein Auftraggeber den Auftrag zum einen in Lose auf, verlangt er zum anderen von den Bietern die Abgabe von Angeboten für alle Lose, sind die Vergabebedingungen widersprüchlich. Die Auslegung vom Bieterhorizont ergibt in diesem Fall, dass der Auftraggeber nicht zwingend eine Gesamtvergabe vornehmen, sondern sich die Option einer Vergabe der Lose an verschiedene Bieter offen halten wollte.

4. Verlangt der Auftraggeber ausdrückliche Angaben der Bieter für den Fall der Preisermäßigung bei der Beauftragung von mehreren Losen schon im Angebotsschreiben, kann ein in einem Nebenangebot versteckter Preisnachlass nicht berücksichtigt werden.

5. Enthalten Verdingungsunterlagen entgegen der nicht fristgerecht in deutsches Recht umgesetzten Vergabekoordinierungsrichtlinie keine sachlich-technischen Mindestanforderungen für Nebenangebote, können abgegebene Nebenangebote nicht gewertet werden.

 

Normenkette

GWB § 107 Abs. 3; VOB/A § 21 Nrn. 1, 4, § 25 Nrn. 3, 5

 

Verfahrensgang

1. Vergabekammer des Landes Brandenburg (Beschluss vom 17.11.2006; Aktenzeichen 1 VK 47/06)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 17.11.2006 - 1 VK 47/06 - aufgehoben.

Der Auftraggeberin wird aufgegeben, im Vergabeverfahren betreffend Bau und Erschließung des Hafens Güterverkehrszentrum Berlin West Wustermark die Angebotswertung betreffend das Los 3 - Erschließung/Straßenbau - unter Einschluss des Angebots der Antragstellerin zu wiederholen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden der Auftraggeberin auferlegt. Die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig.

Die im Verfahren der Beschwerde und des Verfahrens über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB entstandenen gerichtlichen Kosten und außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin werden der Auftraggeberin auferlegt. Die Auftraggeberin und die Beigeladene tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

 

Gründe

I. Die Auftraggeberin schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 14.7.2006 die Hafenerschließung für das Güterverkehrszentrum Berlin West Wustermark im Offenen Verfahren europaweit aus. In der Ausschreibung heißt es: "Aufteilung in Lose: Ja. Sollten die Angebote wie folgt eingereicht werden: für alle Lose". Außerdem enthält die Ausschreibung folgenden Hinweis: "Die Verdingungsunterlagen werden nur im Paket mit allen Losen versandt." Der Auftrag umfasst in Los 1 die Geländeumgestaltung, in Los 2 Spundwand und Verankerung sowie in Los 3 Erschließung und Straßenbau. Nebenangebote waren zulässig. Der geschätzte Auftragswert für Los 3 liegt nach der von der Auftraggeberin in Auftrag gegebenen Kostenberechnung bei 2.179.000 EUR (brutto).

Als alleiniges Zuschlagskriterium benannte die Auftraggeberin gemäß Punkt 5.3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 24.7.2006 den Preis. In Ziffer 5.1 der Aufforderung zur Angebotsabgabe heißt es, dass sich die Auftraggeberin die Vergabe nach Losen vorbehalte und dass Angebote für alle Lose abzugeben seien. In Ziffer 5.2 wies die Auftraggeberin darauf hin. dass Nebenangebote die im Beiblatt EVM Erg EG Neb - 247EG genannte Mindestanforderungen erfüllen müssen. In diesem Beiblatt vermerkte die Auftraggeberin zu Mindestanforderungen: "gleichwertig den beiliegenden Technischen/Ergänzenden Vertragsbedingungen und der Leistungsbeschreibung. Vom AN ist der Nachweis der Gleichwertigkeit zum Hauptangebot zu erbringen." Das Verzeichnis der Zusätzlichen/Ergänzenden Technischen Vertragsbedingungen verweist auf eine Reihe von weiteren Technische Vorschriften und Richtlinien für die Durchführung der ausgeschriebenen Arbeiten.

Im von der Auftraggeberin vorgegebenen Angebotsvordruck war von den Bietern ein zusätzlicher prozentualer Preisnachlass unter der Bedingung der Zusammenfassung aller oder einzelner Lose anzugeben. Außerdem war zu erklären, ob der Preisnachlass auf das Hauptangebot auch auf etwaige Nebenangebote gewährt wird.

Die Antragstellerin gab am 18.8.2006 ein Hauptangebot für sämtliche Lose ab, ebenso...

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