Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilweise Entziehung des Sorgerechts bei mangelnder Mitwirkung an Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Eine den teilweisen Enzug des Sorgerechts rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls liegt vor, wenn die Kindeseltern nicht in gebotenem Maße ihre Kinder zur Teilnahme an der allgemeinen Schulausbildung anhalten können.
2. Weder das in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verankerte Recht der Eltern auf freie Erziehung ihrer Kinder noch die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG verankerte Glaubens- und Gewissensfreiheit bzw. das Recht auf ungestörte Religionsausübung begründen einen Anspruch der Eltern auf Befreiung ihrer Kinder von der allgemeinen Schulpflicht und damit verbundener Genehmigung von Heimunterricht. Daran haben sich auch Eltern zu orientieren, die der Glaubensgemeinschaft der Siebten Tags Adventisten angehören
Normenkette
GG Art. 4 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1; BGB § 1666 Abs. 1, § 1697a; BrbSchulG § 36 Abs. 4, § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Lübben (Beschluss vom 18.03.2005; Aktenzeichen 30 F 45/05) |
Tenor
Der Antrag der beteiligten Kindeseltern vom 4.5.2005 auf vorläufige Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des AG Lübben vom 18.3.2005 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Aus der Ehe der miteinander verheirateten Kindeseltern sind die betroffenen minderjährigen Kinder S, geboren am 10.12.1995, und E, geboren am 6.5.1998, hervorgegangen.
Die Kindeseltern gehören der Glaubensgemeinschaft der Siebten Tags Adventisten an. Aus religiösen Gründen verweigern sie ihren Kindern die Teilnahme an der allgemeinen Schulausbildung an einer staatlichen Schule. Die Eltern unterrichten die Kinder zu Hause nach dem Lehrplan der sog. Philadelphia Schule in Form des Heimschulunterrichts.
Nachdem das beteiligte Jugendamt die Eltern in der Vergangenheit mehrfach auf die Schulpflicht der betroffenen Kinder hingewiesen und insoweit auch mehrfach Gespräche mit den Eltern geführt hat, ist nachfolgend gegen die Eltern wegen Verletzung der Mitwirkung an der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht ein Bußgeld festgesetzt worden, das die Eltern auch gezahlt haben. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens hat das beteiligte Jugendamt sodann eine Gefährdung des Wohls der Kinder dem AG angezeigt. Nach Anhörung aller Beteiligten und der betroffenen Kinder hat das AG mit Beschl. v. 18.3.2005 den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die betroffenen Kinder sowie die Befugnis, über die Ausbildung, die Schulart, Schulan- bzw. -ab- oder -ummeldung, die Art und das Ausmaß der den Kindern zu gewährenden zusätzlichen Förderungs- und Bildungsmaßnahmen zu bestimmen, entzogen und auf das beteiligte Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die durch die beteiligten Kindeseltern eingelegte befristete Beschwerde, mit der sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung begehren und insb. auf ihr Recht zur Glaubensfreiheit hinweisen. Sie vertreten die Auffassung, im Gegensatz zu der allgemeinen Schulausbildung den betroffenen Kindern mit dem Heimunterricht eine bessere pädagogische Förderung gewährleisten zu können. Zugleich begehren sie die vorläufige Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Beschwerdebegründung vom 30.6.2005 (Bl. 36 ff. d.A.) Bezug genommen.
II. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung ist zurückzuweisen, da die in zulässiger Weise eingelegte befristete Beschwerde (§ 621e ZPO) nach derzeitigem Stand in der Sache selbst keine Aussicht auf Erfolg besitzt.
1. Nach § 1666 Abs. 1 BGB ist zugunsten des Kindes, dessen körperliches, geistiges oder seelisches Wohl durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet ist, eine gefahrenabwehrende Maßnahme einzuleiten. Die gerichtliche Entscheidung hat sich dabei gem. § 1697a BGB an den tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie den berechtigten Interessen der Beteiligten unter besonderer Berücksichtigung des Wohls des Kindes zu orientieren.
2. Zwar bestehen keine grundsätzlichen Bedenken an der Erziehungsgeeignetheit der Kindeseltern. Im vorliegenden Fall wird das Kindeswohl jedoch durch vorsätzliches Versagen der Kindeseltern hinsichtlich der Einschulungspflicht gefährdet, weshalb ihnen gem. § 1666 Abs. 1 BGB Teile der elterlichen Sorge für die betroffenen Kinder in dem durch das AG tenorierten Umfang zu entziehen sind.
a) Eine gravierende Gefährdung des Kindeswohls ist in der beharrlichen Weigerung der Eltern, den betroffenen Kindern die Teilnahme an der allgemeinen Schulausbildung zu ermöglichen, zu sehen. Der aus Art. 7 Abs. 1 GG folgende staatliche Erziehungsauftrag wird insb. durch die Bereitstellung des staatlichen Schulwesens gewährleistet. Der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrages dient die Pflicht zum Besuch der staatlichen oder von im Rahmen de...