Leitsatz (amtlich)

Selbst wenn eine Fremdunterbringung geboten ist, kann der Sorgerechtsentzug zur Abwendung einer dem Kind drohenden Gefahr insbesondere dann entbehrlich sein, wenn der erziehungsberechtigte Elternteil die Fremdunterbringung mit trägt und den Pflegeeltern eine umfassende Vollmacht erteilt.

 

Normenkette

BGB § 1666

 

Verfahrensgang

AG Bernau (Aktenzeichen 6 F 224/15)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 28. Januar 2016 aufgehoben.

Die Gerichtskosten für die Verfahren erster und zweiter Instanz werden den Eltern je zur Hälfte auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Das Verfahren betrifft gerichtliche Maßnahmen im Hinblick auf eine Kindeswohlgefährdung.

Durch Beschluss vom 28.1.2016 hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge, die elterliche Sorge betreffend den Teilbereich "Belange bezüglich Kindertagesstätte" und das Recht auf Antragstellung und Durchsetzung von Sozialleistungen für die Tochter H... entzogen und insoweit das Jugendamt zum Pfleger bestellt. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der ausführlichen Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen (Bl. 284 ff.).

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit der Beschwerde. Sie trägt vor:

Der Sohn W... sei am 15.8.2015 in den Haushalt der Großeltern mütterlicherseits gewechselt. So solle es auch bleiben. Damit könne sie, die Mutter, sich nun ganz auf die Betreuung der Tochter H... konzentrieren. Auf die Frage, ob im Hinblick auf diese veränderte Sachlage bei H... immer noch von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen wäre, wenn sie sich in ihrem, der Mutter, Haushalt befände, seien die Sachverständige und das Amtsgericht nicht hinreichend eingegangen.

H... leide sehr unter der Trennung von ihr, der Mutter, die sie nur einmal im Monat sehen dürfe; daneben gebe es einmal in der Woche Telefongespräche. Jedes Mal frage H..., wann sie wieder nach Hause kommen könne.

Seit Februar 2016 lebe sie von Herrn G... S... getrennt. Sie selbst befinde sich in psychologischer Behandlung, seit Anfang April 2016 in der psychiatrischen Institutsambulanz "PIA" in B....

Die Mutter beantragt,

den angefochtenen Beschlusses aufzuheben.

Der Vater ist der Auffassung, dass die Entscheidung des Amtsgerichts aufgrund der Vorkommnisse und der Lebenssituation im mütterlichen Haushalt sachgerecht sei.

Der Senat hat die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt im Beschwerdeverfahren um aktuelle Berichte gebeten. Insoweit wird auf die Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin vom 6.9.2016 (Bl. 417 ff.) und des Jugendamts vom 2.9.2016 (Bl. 425 ff.) verwiesen.

Der Senat hat die Eltern, zwei Vertreter des Jugendamts und die Verfahrensbeiständin angehört sowie die Zeugen I... und F... M... und O... und P... P... vernommen, ebenso die Sachverständige S.... Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk zum Senatstermin vom 20.9.2016 Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter ist begründet. Die Voraussetzungen dafür, gemäß § 1666 BGB in ihr Sorgerecht einzugreifen, liegen nicht (mehr) vor.

Allerdings hat das Amtsgericht die Kindeswohlgefährdung, die während des Aufenthalts der Geschwister H... und W... im Haushalt der Mutter bestanden hat, unter Bezugnahme auf das Gutachten der Sachverständigen S... nachvollziehbar herausgearbeitet. In Bezug auf W... hat das Amtsgericht festgestellt, dass eine Kindeswohlgefährdung aktuell abgewendet worden sei, da die Mutter einem Wechsel des Jungen in den Haushalt der Großeltern mütterlicherseits zugestimmt habe. In Bezug auf H... hat das Amtsgericht eine solche Abwendung der Kindeswohlgefährdung noch nicht feststellen können. Eine Fremdunterbringung des Mädchens hat das Amtsgericht im Hinblick auf die plausiblen Ausführungen der Sachverständigen S... nachvollziehbar für erforderlich gehalten.

Die Fremdunterbringung eines Kindes erfordert aber nicht zwangsläufig den Sorgerechtsentzug. Selbst wenn eine Fremdunterbringung geboten ist, kann der Sorgerechtsentzug zur Abwendung einer dem Kind drohenden Gefahr insbesondere dann entbehrlich sein, wenn der erziehungsberechtigte Elternteil die Fremdunterbringung mit trägt und unterstützt und alle in diesem Zusammenhang notwendig werdenden Mitwirkungshandlungen vornimmt bzw. vorzunehmen bereit ist (BVerfG, Beschluss vom 19.8.2015 - 1 BvR 1084/15, BeckRS 2015, 20967 Rn. 22). So liegt es hier.

Im Senatstermin vom 20.9.2016 hat die Mutter den Zeugen M..., die seit der Herausnahme H... aus dem Haushalt der Mutter als Pflegeeltern fungieren, umfassende Vollmachten erteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf das diesbezügliche Sitzungsprotokoll Bezug genommen (Bl. 474). Damit ist eine gegenwärtige Gefahr für das Kindeswohl, wie sie insbesondere für Maßnahmen nach § 1666 BGB, die mit einer Trennung des Kindes von den Eltern verbunden sind, erforderlich wäre, abge...

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