Verfahrensgang
AG Oranienburg (Entscheidung vom 22.06.2020; Aktenzeichen 13 e OWi 264/20) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 22. Juni 2020 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an den Bußgeldrichter des Amtsgerichts Oranienburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Oranienburg hat den Betroffene auf dessen rechtzeitig erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg vom 6. Februar 2020 (Az.: 442/19/0011174/3) mit Urteil vom 22. Juni 2020 wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Wartepflicht am Bahnübergang mit einer Geldbuße von 240,00 EUR belegt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat unter der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene als Kraftfahrzeugführer eines Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... am .... Dezember 2019 aus Richtung ... kommend in der Ortslage ... den durch das Rot der Bahnschrankenampel gesperrten Bahnübergansbereich.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen und formellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 10. September 2020 beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht und begründet worden.
Das angefochtene Urteil hält bereits sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um den Schuldspruch zu tragen. Es fehlt sowohl an Feststellungen zu den objektiven Tatumständen als auch zur inneren Tatseite.
Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVO haben Fahrzeuge an Bahnübergängen vor dem Andreaskreuz zu warten, wenn rotes Blinklicht oder gelbe oder rote Lichtzeichen gegeben werden. Für Wechsellichtzeichen gemäß § 37 Abs. 2 StVO ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass der Kraftfahrer beim Umschalten des Wechsellichtzeichens von grün auf gelb nur dann anhalten muss, wenn er mit einer mittleren Bremsung noch vor der Haltelinie zum Stehen kommen kann. Zum starken Bremsen oder einer Gewalt- oder Notbremsung ist der Kraftfahrer dagegen nicht verpflichtet (vgl. BGH NZV 1992, 157; OLG Hamm NZV 2003, 574; KG NZV 1992, 251; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl. StVO § 37 Rn. 24 mwN). Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung auf das Fahrverhalten bei Lichtzeichen an Bahnübergängen übertragen. Ein Verstoß gegen das Gebot zum Anhalten liegt daher nur vor, wenn der Fahrer bei mittelstarker Bremsung (Bremsverzögerung 4 m/s²) noch vor dem Andreaskreuz gefahrlos anhalten kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 311 SsBs 12/08; ebenso OLG Jena VRS 120, 34; BayObLG DAR 1981, 153; NJW 1985, 1568; OLG Karlsruhe VRS 62, 219; OLG Schleswig DAR 1985, 291; König aaO § 19 Rn. 24; Weinland in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 19 StVO, Rn. 35). Hat danach der Betroffene bei Beginn des gelben Lichtzeichens bereits den kritischen Punkt überschritten, nach dessen Durchfahren sein Anhalteweg über das Andreaskreuz hinausreicht, so darf er seine Fahrt über den Bahnübergang hinweg fortsetzen, wobei er diesen zügig zu überqueren hat (OLG Celle aaO). Daraus folgt, dass das Amtsgericht, um eine Zuwiderhandlung gegen § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVO annehmen zu können, Feststellungen über die Entfernung des Betroffenen von der Haltelinie bzw. dem Andreaskreuz zu Beginn der Gelbphase und zu der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit treffen muss (vgl. OLG Celle aaO; KG VRS 67, 63, 64). Das ist vorliegend nicht erfolgt.
Allerdings können Feststellungen zur tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit sich erübrigen, wenn zumindest die zulässige Höchstgeschwindigkeit festgestellt worden ist und aufgrund der Entfernung von der Haltelinie zu Beginn der Gelbphase feststeht, dass der Betroffene bei Nichtüberschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch mit einer mittleren Bremsung vor der Haltelinie bzw. dem Andreaskreuz hätte anhalten können (vgl. OLG Bremen VRS 79, 38, 41; OLG Hamm VRS 85, 464, 465). Überschreitet nämlich der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit und kann deswegen nicht mehr rechtzeitig anhalten, so begründet bereits die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit die Vorwerfbarkeit des Rot- bzw. Gelblichtverstoßes (vgl. OLG Köln VM 1984, 83). Auch die Feststellung des Abstands zur Haltelinie bei Beginn der Gelbphase kann entbehrlich sein, wenn zumindest feststeht, dass der Betroffene die Haltelinie erst bei Beginn der Rotphase erreichte und damit die gesamte Gelbphase, deren Dauer dann aber ebenfalls festge...