Leitsatz (amtlich)
1. Im Beschwerdeverfahren kann entschieden werden, auch wenn die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ihre schriftsätzlich angekündigten Sachanträge nicht verlesen haben. Dies ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn sich Gegenstand und Ziel des Beschwerdebegehrens aus den Schriftsätzen hinreichend klar ergibt.
2. Das Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes rechtfertigt nur Maßnahmen des Auftraggebers zur Herstellung eines vergaberechtskonformen Vergabeverfahrens, nicht jedoch seine Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren zu Lasten eines die Nachprüfung aus anderen Gründen betreibenden Bieters.
3. Der Auftraggeber muss die Vorlage von Nachweisen über die Teilnahme an Vorortbesichtigungen nicht bereits in der Bekanntmachung fordern. Es genügt, wenn dies in den Verdingungsunterlagen erfolgt. Denn Nachweise der Teilnahme an Vorortbesichtigungen sind keine Eignungsnachweise, sondern stellen den Nachweis der Kenntnisnahme von Einzelheiten der für die Durchführung des Auftrages maßgeblichen Umstände dar, wenn sie den Zweck haben, die Leistungsbeschreibung zu ergänzen.
Normenkette
GWB § 69 Abs. 2, § 117; VOL/A 2009 § 12 Abs. 2; VOL/A § 16 Abs. 3 lit. a)
Verfahrensgang
Vergabekammer des Landes Brandenburg (Beschluss vom 25.01.2011; Aktenzeichen VK 64/10) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 25.1.2011 - VK 64/10 - aufgehoben.
Der Auftraggeber wird verpflichtet, die Wertung der Angebote in dem Vergabeverfahren betreffend den maschinellen Holzeinschlag einschließlich Rückung von Holz auf vom Kampfmittelräumungsdienst freigegebenen Flächen im Bereich des Landesbetriebes F. - Betriebsteil W. -, Lose 1, 2, 3 und 9 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats zu wiederholen.
Die Gebühren und Auslagen des Verfahrens vor der Vergabekammer hat der Auftraggeber zu tragen. Der Auftraggeber hat der Antragstellerin deren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer des Landes Brandenburg notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin war notwendig. Der Auftraggeber und die Beigeladenen tragen ihre im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen Auslagen selbst.
Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde einschließlich der Kosten des Verfahrens der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde trägt der Auftraggeber mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
Gründe
I. Der Landesbetrieb F. schrieb u.a. im Ausschreibungsblatt Brandenburg/Berlin vom 4.10.2010 den maschinellen Holzeinschlag einschließlich Rückung von Holz auf vom Kampfmittelräumdienst freigegebenen Flächen in neun den Gebieten der Oberförstereien des ehemaligen Betriebsteiles W. entsprechenden Territoriallosen für den Zeitraum Januar bis Dezember 2011 öffentlich nach VOL/A aus. Angebote konnten auf ein oder mehrere Lose oder auf die Gesamtleistung abgegeben werden und waren bis zum 2.11.2010, 13.00 Uhr einzureichen.
Die Leistungsbeschreibung enthielt den in fetter Schrift hervorgehobenen Hinweis, dass "eine Vorortbesichtigung der Bestände zu den Losen 1 bis 9 zwingend erforderlich" sei. Dabei wurden für jedes Los Besichtigungstermine vorgegeben. Die Besichtigungstermine waren auf insgesamt fünf Tage angesetzt. Ferner hieß es in der Leistungsbeschreibung, dass die Teilnahme an der Vorortbesichtigung durch ein vorbereitetes Formblatt zu dokumentieren und mit dem Angebot vorzulegen sei. In den Vergabeunterlagen war eine Liste von Unterlagen genannt, die zur Beurteilung der Eignung vorzulegen seien. Die Bescheinigung der Vorortbesichtigung war darin nicht enthalten. Die Bekanntmachung enthielt keinen Hinweis auf diese Vorortbesichtigungen.
Die Antragstellerin reichte ein Angebot für alle Lose ein und fügte diesem die von den einzelnen Oberförstereien abgestempelten bzw. abgezeichneten neun Bescheinigungen bei, mit denen die Teilnahme an der jeweiligen Flächenbesichtigung bestätigt wurde.
Dem Angebot der Beigeladenen zu 1.) lag keine Bescheinigung über eine Teilnahme an den Vorortbesichtigungen bei. Der Beigeladene zu 2.) gab mit dem Angebot zwei Teilnahmebescheinigungen über Vorortbesichtigungen für die Lose 2 und 4 ab. Für die streitigen Lose legte er seinem Angebot je eine von der zuständigen Oberförsterei abgezeichnete "Bestätigung zur Vorlage bei der Vergabestelle" bei, aus der sich ergab, dass der Einsatzleiterin seines Unternehmens die örtlichen Bedingungen in der Oberförsterei hinreichend bekannt seien, weil sein Unternehmen auf den Ausschreibungsflächen im Jahr 2010 die maschinelle Holzernte sowie die Rückung durchführt hat.
Die vom Auftraggeber vorgenommene Angebotswertung nach dem günstigsten Preis vom 8.11.2010 ergab, dass die Beigeladene zu 1.) den Zuschlag auf die Lose 1 und 2 und der Beigeladene zu 2.) den Zuschlag auf die Lose 3, 6, 8 und 9 erhalten sollte. Darüber informierte der Auftraggeber die Ant...