Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO, wonach der gesetzliche Vertreter über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Minderjährigen dann nicht entscheiden darf, wenn er selbst Beschuldigter ist, kann im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht entsprechend auf den Fall, dass der nicht beschuldigte Elternteil alleinsorgeberechtigt ist, angewendet werden (im Anschluss an OLG Nürnberg MDR 2010, 996).
Normenkette
BGB § 1909 Abs. 1; StPO § 52 Abs. 2, § 81c Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
AG Nauen (Beschluss vom 11.08.2011; Aktenzeichen 19 F 71/11) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Nauen vom 11.8.2011 - 19 F 71/11 - aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Potsdam auf Anordnung der Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis: Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Kindesmutter ... wegen des Verdachtes des sexuellen Missbrauchs des Kindes (Az.: der Staatsanwaltschaft Potsdam: 476 Js 35214/11), Entbindung der Ärzte von der beruflichen Schweigepflicht, wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gegenstandswert: 3.000 EUR.
Gründe
I. Die Kindesmutter ist die leibliche Mutter des am 3.12.2004 geborenen Kindes L. K. und des am 6.12.2000 geborenen Kindes A. S. Das Kind L. K. ist das leibliche Kind der Kindesmutter mit S. K., dem Ehemann der Kindesmutter.
Die Kindesmutter hat unter dem 11.7.2011 Strafanzeige gegen S. K. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) gestellt und als geschädigte Person auch das Kind L. K. angegeben. Wegen der Einzelheiten des Vorwurfs wird auf den Inhalt der Strafanzeige vom 11.7.2011 (Bl. 3 -12 d.A.) verwiesen. Zudem erstattete die Kindesmutter gegen S. K. auch Strafanzeige wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an dem Kind L. K.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat mit Verfügung vom 29.7.2011 ein Ermittlungsverfahren gegen S. K. wegen des Verdachtes eines Vergehens nach §§ 176, 223 StGB zum Nachteil des Kindes A. S. eingeleitet. Zudem hat es angenommen, zur Sicherung des Beweises sei die Vernehmung der Kinder L. K. und A. S. erforderlich. Da nicht auszuschließen sei, dass die minderjährigen Kinder wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Rechtes, die Aussage verweigern zu können, keine genügenden Vorstellungen hätten, und die gesetzlichen Vertreter über die Ausübung des Weigerungsrechtes gem. § 52 Abs. 2 i.V.m. § 81c Abs. 3 StPO nicht entscheiden könnten, da sich das Verfahren gegen einen von ihnen richte, hat sie gegenüber dem AG - Familiengericht - Nauen unter dem 3.8.2011 beantragt, auch für das Kind L. K. gem. § 1909 BGB einen Ergänzungspfleger mit dem Wirkungskreis Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, Entbindung der Ärzte von der beruflichen Schweigepflicht zu bestellen.
Das AG - Familiengericht - Nauen hat mit dem angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin vom 11.8.2011 antragsgemäß entschieden und das beteiligte Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt. Die Ergänzungspflegschaft umfasst die Wirkungskreise: Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Kindesmutter S. K.,..., wegen des Verdachtes des sexuellen Missbrauchs des Kindes (Staatsanwaltschaft Potsdam 476 Js 35214/11), Entbindung der Ärzte von der beruflichen Schweigepflicht. Die Entscheidung hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die Kindesmutter, die mit dem Beschuldigten verheiratet sei, wegen des sich daraus ergebenden Interessenkonfliktes gem. § 52 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 81c Abs. 3 StPO analog gehindert sei, in dem oben genannten Wirkungskreis Entscheidungen zu treffen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindesmutter.
II.1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Bei der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft handelt es sich um eine Kindschaftssache i.S.v. § 153 Nr. 5 FamFG, die insoweit eine Endentscheidung darstellt und der Beschwerde gem. §§ 58 ff. FamFG unterliegt. Das Rechtsmittel ist statthaft und wurde auch frist- und formgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 63, 64 FamFG). Die erforderliche Beschwerdeberechtigung (§ 59 FamFG) ist ebenfalls gegeben. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ergibt sich daraus, dass es sich bei der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gem. § 1909 Abs. 1 Satz 2 BGB um einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht handelt.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft liegen nicht vor.
Zwar hat über die Ausübung des fraglichen Zeugnisverweigerungsrechts bei einem minderjährigen Kind mit mangelnder Verstandesreife gem. § 81c Abs. 3 Satz 2 StPO der gesetzliche Vertreter zu entscheiden - hier allein die Kindesmutter, wie noch weiter auszuführen sein wird -, diese ist aber nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO in Verbindung mit der vorbezeichneten Vorschrift von d...