Leitsatz (amtlich)
Selbst eine scheinbar heillose Zerstrittenheit der Eltern rechtfertigt die Aufhebung der gemeinsamen Sorge nur dann, wenn der Elternstreit sich zum einen ungünstig auf das Kindeswohl auswirkt und wenn zum anderen allein durch die Übertragung der Alleinsorge Abhilfe zu erwarten ist.
Um den Eingriff in das Elternrecht und in das Recht des Kindes, von beiden Eltern erzogen zu werden (Art. 6 II 1 GG), rechtfertigen zu können, muss eine günstige Prognose der Entscheidungswirkung gestellt werden können. Diese Grundrechte werden verletzt, wenn von dem Eingriff in die Sorgerechtsverhältnisse mindestens gleich ungünstige Auswirkungen auf das Kindeswohl zu erwarten sind wie vom Beibehalten der gegebenen, dringend verbesserungsbedürftigen Verhältnisse.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Schwedt (Beschluss vom 18.07.2013; Aktenzeichen 4 F 195/12) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG Schwedt/Oder vom 18.7.2013 abgeändert:
Die Anträge des Antragstellers und der Antragsgegnerin werden abgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden unter dem Antragsteller und der Antragsgegnerin gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr gemeinsames, im Mai 2006 geborenes Kind.
I. Auf Grund von Sorgeerklärungen übten der Antragsteller und die Antragsgegnerin die elterliche Sorge für ihr einziges gemeinsames Kind, das im Mai 2006 geboren wurde, gemeinsam aus. Zur Familie gehörte ein weiteres, älteres Kind der Antragsgegnerin. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin trennten sich im Oktober 2010 voneinander und wohnten seitdem in zwei verschiedenen Wohnungen im selben Haus. Der Antragsteller behauptet, die Antragsgegnerin und er hätten das Kind weiter teils gemeinsam, teils je für sich allein mit ungefähr gleichgewichtigen Anteilen betreut. Die Antragsgegnerin behauptet, ihr Anteil an der Betreuung des Kindes habe bei weitem überwogen. Beide haben beantragt, ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen.
Das AG hat das Kind, den Antragsteller, die Antragsgegnerin und Vertreter des Jugendamtes angehört. Auf die Protokolle vom 25.9. und 4.12.2012 wird verwiesen (Bl. 41 ff., 44 ff.). Nach Vereinbarungen der Eltern betreute zwischen den Verhandlungsterminen der Antragsteller das Kind allein, danach beide Eltern im vierwöchentlichen Wechsel, jeweils mit Wochenendumgang des anderen. Das AG hat ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Erziehungseignung der Eltern, zu den Bindungen des Kindes, zu seinen Wünschen und zu der Frage eingeholt, bei welchem Elternteil es seinen Lebensmittelpunkt haben sollte. Auf das Gutachten vom 8.4.2013 wird verwiesen (Bl. 55 ff.).
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Antragsgegnerin übertragen. Sowohl die Bindungen des Kindes als auch seine Betreuung seien bei beiden Eltern gesichert. Die Erziehungskompetenzen der Antragsgegnerin seien deutlich besser ausgeprägt als beim Antragsteller. Dessen Vorwurf, die Antragsgegnerin wolle ihm das Kind entfremden, sei nicht bestätigt worden. Sein konfliktträchtiges, forderndes, bedrängendes Verhalten gegenüber der Antragsgegnerin und den weiteren Beteiligten werde er, davon gehe das AG aus, auch an das Kind herangetragen haben. Dadurch ausgelöste Verlustängste und Schuldgefühle, hätten die Grenze psychischer Misshandlung erreicht. Der Kindeswille sei deshalb nicht entscheidend und widerspreche zudem dem beobachteten liebevollen Kontakt des Kindes zur Mutter.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Antrag weiter, ihm allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Er hält dem Sachverständigengutachten entgegen, es beruhe teilweise auf unzureichend aufgeklärten, unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen. Nach im Mai 2013 begonnener psychotherapeutischer Behandlung lasse sich der Befund, der Antragsteller sei nur eingeschränkt erziehungsgeeignet, nicht mehr halten.
Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss. Seit das Kind ununterbrochen bei ihr wohne, sei es fröhlicher und in der Schule leistungsfähiger als zuvor. Der Schwebezustand der Unentschiedenheit und die Zerstrittenheit der Eltern hätten sich ungünstig auf das Kind ausgewirkt. Der Loyalitätskonflikt, den das Kind schwer ertrage, sei entsprechend den Empfehlungen der Sachverständigen und des Verfahrensbeistandes durch einen dauerhaften Aufenthalt des Kindes bei der Antragsgegnerin zu beenden.
Auf die Berichte des Jugendamtes vom 8.10.2013 (Bl. 288) und des Verfahrensbeistandes vom 28.11.2013 und 8.1.2014 (Bl. 333 ff., 364 f.) wird verwiesen.
Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und die Anlagen Bezug genommen.
II. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 68 III 2 FamFG). Er sieht von einer - erneuten - Anhöru...