Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterliche Sorge: Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts bei Mißachtung des Rechts des Kindes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
Leitsatz (redaktionell)
Beabsichtigt die Kindesmutter und Inhaberin der elterlichen Sorge, in ihr Heimatlang Ukraine zurückzukehren und ist sie nicht bereit, die Entscheidung mit ihrer 16-jährigen und die Rückkehr massiv ablehnende Tochter abzustimmen, ist davon auszugehen, dass die Kindesmutter das Recht des Kindes auf Achtung und freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht respektiert. Der damit verbundene Wechsel im Lebensumfeld führt zu einer nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls, die eine Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gemäß § 1666 Abs. 1 BGB rechtfertigt.
Normenkette
BGB § 1666 Abs. 1, § 1666a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Cottbus (Beschluss vom 15.07.2008; Aktenzeichen 53 F 213/08) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des AG Cottbus vom 15.7.2008 - Az.: 53 F 213/08 - wird zurückgewiesen.
Die Kindesmutter hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert der Beschwerde wird auf 500 EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kindesmutter, welche die ukrainische Staatsangehörigkeit hat, übersiedelte im Jahr 2002 mit dem betroffenen Kind und dem weiteren Kind N., die beide ebenfalls die ukrainische Staatsbürgerschaft haben, nach Deutschland, nachdem sie den deutschen Staatsbürger J. L. geheiratet hatte. Aus der Ehe ist ein weiteres Kind, M. L., hervorgegangen. Der Vater A. s und N. s ist ebenfalls ukrainischer Staatsbürger und lebt in der Ukraine.
A. besucht seit August 2006 die S. Oberschule, in der sie u.a. Schülersprecherin ist. Im Laufe des Jahres 2007 kam es zu Schwierigkeiten in der Ehe der Kindesmutter und zu Problemen zwischen A. und ihrer Mutter sowie dem Stiefvater. Im Sommer 2008 wandte sich A. hilfesuchend an die Sozialarbeiterin bei der S. Oberschule und begab sich am 3.6.2008 in deren Begleitung zum Kinder- und Jugendnotdienst der Stadt C.. Sie gab an, auf Grund von Differenzen mit ihrer Mutter nicht nach Hause zurückkehren zu wollen und bat um Aufnahme. Sie wurde daraufhin in Obhut genommen.
Die Kindesmutter stellte unter dem 26.6.2008 einen Antrag gegen die Stadt C. auf Herausgabe ihrer Tochter im Wege der einstweiligen Anordnung. Unter dem gleichen Datum beantragte das Jugendamt, der Kindesmutter die elterliche Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung im Hinblick auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen zu entziehen.
Das AG hat nach Anhörung des betroffenen Kindes, des Jugendamts, der Kindesmutter und der bestellten Verfahrenspflegerin am 15.7.2008 im Wege der einstweiligen Anordnung der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen für A. S. entzogen, Ergänzungspflegschaft angeordnet und zum Ergänzungspfleger das Jugendamt der Stadt C. bestellt. Wegen der Begründung der einstweiligen Anordnung wird auf den Beschluss vom 15.7.2008 Bezug genommen.
Gegen den ihr am 15.7.2008 zugestellten Beschluss hat die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 29.7.2008, eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt, welcher das AG nicht abgeholfen hat.
Inzwischen ist die Kindesmutter mit den weiteren Kindern in die Ukraine verzogen. Sie hat durch ihre Verfahrensbevollmächtigte mitteilen lassen, dass sie auf Grund ihrer zerrütteten Ehe kurzfristig nicht nach Deutschland zurückkehren werde. Sie sei auch nicht bereit, an der vom AG in der Hauptsache angeordneten Sachverständigen - Begutachtung mitzuwirken.
Mit ihrer Beschwerde rügt die Kindesmutter Verfahrensfehler und macht geltend, die Äußerungen A. s seien unkritisch sowohl durch das Jugendamt als auch durch das AG übernommen worden, während man ihre Einlassungen nicht berücksichtigt habe. Im Übrigen liege keine Kindeswohlgefährdung vor. Es bestünde lediglich ein Mutter-Tochter-Konflikt, wie er pubertätsbedingt häufig anzutreffen sei. Es entspreche dem Wohl A. s, wenn diese alsbald zu ihr in die Ukraine übersiedeln würde.
Die Verfahrenspflegerin hat unter dem 29.8.2008 mitgeteilt, es entspreche dem festen Willen A. s, nicht in den elterlichen Haushalt zurückzukehren. Sie könne sich eine Zukunft in der Ukraine nicht vorstellen. Außerdem habe sie keine tragfähige emotionale Beziehung zu ihrer Mutter.
II. Die sofortige Beschwerde der Kindesmutter ist gem. §§ 621g, 620c, 567 ff. ZPO zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. §§ 621g, 620a ZPO, durch den in das Sorgerecht von Eltern eingegriffen wird, ist zulässig, wenn das Kindeswohl eine derartige Anordnung erfordert, § 1666 BGB.
Die internationale Zuständigkeit des AG, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist, ist gegeben. Sie richtet sich nach den Vorschriften des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebi...