Leitsatz
Das OLG Brandenburg hatte sich in seiner Entscheidung damit auseinanderzusetzen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Mutter eines 16-jährigen Kindes das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen ist, wenn die Mutter in ihr Heimatland - die Ukraine - zurückkehren will und sich das Kind gegen diese Übersiedlung sperrt.
Sachverhalt
Die Kindesmutter war ukrainische Staatsangehörige und übersiedelte im Jahr 2002 mit dem betroffenen Kind und einem weiteren Kind - beide ebenfalls ukrainische Staatsangehörige - nach Deutschland, nachdem sie einen deutschen Staatsbürger geheiratet hatte. Aus dieser Ehe ist ein weiteres Kind hervorgegangen. Der Vater der beiden älteren Kinder war ebenfalls ukrainischer Staatsbürger und lebte in der Ukraine.
Das älteste Kind, die Tochter A., besuchte seit August 2006 die Oberschule und war dort Schülersprecherin. Im Laufe des Jahres 2007 kam es zu Schwierigkeiten in der Ehe der Kindesmutter und zu Problemen zwischen der Tochter und ihrer Mutter sowie dem Stiefvater. Im Sommer 2008 wandte sich die Tochter hilfesuchend an eine Sozialarbeiterin in der Oberschule und begab sich am 3.6.2008 in deren Begleitung zum Kinder- und Jugendnotdienst. Dort gab sie an, aufgrund von Differenzen mit ihrer Mutter nicht nach Hause zurückkehren zu wollen und bat um Aufnahme. Sie wurde daraufhin in Obhut genommen.
Die Kindesmutter stellte am 26.6.2008 einen Antrag gegen die Stadt auf Herausgabe ihrer Tochter im Wege der einstweiligen Anordnung. Am selben Tage beantragte das Jugendamt, der Kindesmutter die elterliche Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung im Hinblick auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen zu entziehen.
Das AG hat nach Anhörung der Tochter, des Jugendamtes, der Kindesmutter und der bestellten Verfahrenspflegerin im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antrag des Jugendamtes entsprochen, Ergänzungspflegschaft angeordnet und zum Ergänzungspfleger das Jugendamt der Stadt bestellt.
Gegen den Beschluss hat die Kindesmutter sofortige Beschwerde eingelegt, der das AG nicht abgeholfen hat.
Sie war inzwischen mit den weiteren Kindern in die Ukraine verzogen und hatte durch ihre Verfahrensbevollmächtigte mitteilen lassen, dass sie aufgrund der Probleme in ihrer Ehe kurzfristig nicht nach Deutschland zurückkehren werde. Sie sei auch nicht bereit, an der vom AG in der Hauptsache angeordneten Sachverständigen-Begutachtung mitzuwirken.
Mit ihrem Rechtsmittel rügte die Kindesmutter Verfahrensfehler und machte geltend, die Äußerungen der Tochter seien unkritisch sowohl durch das Jugendamt als auch durch das AG übernommen worden, während man ihre Einlassungen nicht berücksichtigt habe. Eine Kindeswohlgefährdung liege nicht vor, es bestehe lediglich ein pubertätsbedingter Mutter-Tochter-Konflikt. Es entspreche dem Wohl der Tochter, wenn diese alsbald zu ihr in die Ukraine übersiedeln würde.
Das Rechtsmittel der Kindesmutter hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Das OLG wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die erstinstanzliche Entscheidung verfahrensrechtlich fehlerhaft sei, bestätigte jedoch deren Ergebnis, wonach das Kindeswohl die erlassene einstweilige Anordnung gemäß § 1666 BGB erfordert habe.
Ein Verfahrensfehler sah das OLG zunächst darin, dass das AG nicht geprüft habe, wem das Sorgerecht in Bezug auf Tochter zustehe. Zwar sei davon auszugehen, dass die Kindesmutter das Sorgerecht innehabe. Diese habe jedoch angegeben, dass auch der in der Ukraine lebende Kindesvater Inhaber des Sorgerechts sei. Dieser Frage sei das erstinstanzliche Gericht nicht nachgegangen. Letztendlich sei dies im Hinblick auf die Zulässigkeit der getroffenen Anordnung jedoch unschädlich, da ein bestehendes Gewaltverhältnis gemäß Art. 8 des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961 (MSA) nicht ausschließe, dass die Behörden des Aufenthaltsstaates - mithin auch die deutschen Gerichte - Maßnahmen zum Schutz des Minderjährigen träfen, soweit er in seiner Person ernstlich gefährdet sei. In Fällen, in denen gemäß §§ 1666 ff. BGB Maßnahmen zu treffen seien, sei in der Regel das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 8 MSA anzunehmen (BGHZ 60, S. 68; FamRZ 2005, 344).
Ein weiterer Verfahrensfehler sei darin zu sehen, dass eine Anhörung des möglicherweise ebenfalls sorgeberechtigten Kindesvaters, dessen Anschrift die Kindesmutter nach ihren eigenen Aussagen kenne - unterblieben sei. Seine Beteiligung sei gemäß § 50a Abs. 1 FGG grundsätzlich geboten gewesen. Allerdings könne im Rahmen einer einstweiligen Anordnung wegen Eilbedürftigkeit eine Anhörung gemäß § 50a Abs. 3 FGG unterbleiben, soweit dies wegen Gefahr im Verzug notwendig sei. Hierfür spreche im vorliegenden Fall Einiges, da die Anschrift des Kindesvaters nicht bekannt sei, Ermittlungen zu seinem Sorgerecht auch hinsichtlich ukrainischen Rechts erforderlich erschienen und er sich in den letzten Jahre...