Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Durchbrechung der Abstammungsvermutung nach polnischer 300-Tage-Regel
Leitsatz (amtlich)
Soll die Abstammungsvermutung einer ausländischen Rechtsordnung, die - wie die 300-Tage-Regel - der deutschen Rechtsordnung fremd ist, durch im Gleichrang konkurrierende Willenselemente überwunden werden, so ist nach einer möglichst weitgehenden Entsprechung für die Wirkung von Willenserklärungen zu suchen. Zur Durchbrechung einer Abstammungsvermutung, die auf den (Nach-)Wirkungen einer Ehe beruht, ist neben den Erklärungen des Anerkennenden und der Mutter auch die Zustimmung des (vormaligen) Ehemannes erforderlich.
Normenkette
BGB §§ 1592, 1594, 1599; EGBGB Art. 19 I
Verfahrensgang
AG Frankfurt (Oder) (Aktenzeichen 7 UR III 17/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Standesamtsaufsicht wird der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 10. September 2021 abgeändert:
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Gegen die Entscheidung in der Hauptsache wird die Rechtsbeschwerde sämtlicher Beteiligter zugelassen.
Gründe
Die Eintragung im Geburtenregister für das am 9. Februar 2020 geborene Kind der Antragstellerin darf derzeit nicht berichtigt werden, weil sie nicht unrichtig ist.
Die Beschwerde stellt die Fallkonstellation zur Entscheidung, für die dem Gesetz weder eine deutliche Rechtsfolgeanweisung zu entnehmen ist noch auch nur eine Wert- oder Zielbestimmung, die zur Regelung einzelner Fälle verwendet werden könnte:
Ein Ausländer erkennt in Deutschland die Vaterschaft für ein Kind an, das sodann von einer in Deutschland wohnenden Ausländerin hier geboren wird, deren Ehe mit einem anderen Ausländer vor der Geburt geschieden wurde. Nach dem Recht des Staates, dem die geschiedenen Eheleute angehören (hier: polnische 300-Tage-Regel) ist der geschiedene Ehemann Vater des Kindes; er beteiligt sich nicht an der Regelung der Vaterschaft durch Erklärungen der Beteiligten.
Einigkeit besteht allein über den Gleichrang zwischen dem Recht Deutschlands anhand des Aufenthaltsortes des Kindes (Art. 19 I 1 EGBGB) und dem Recht des Staates, dem die Eltern angehören (Art. 19 I 2 EGBGB).
In Kommentarliteratur und Rechtsprechung werden auf dieser Grundlage alle denkbaren Lösungsvarianten vertreten:
Der bereits vor der Geburt erklärten Anerkennung gebühre der Vorzug vor der rechtlich vermuteten Vaterschaft, die auf bereits beendeter Ehe beruhe. Die durch Anerkennung bewirkte Vaterschaft treffe zum einen häufiger mit der genetischen Abstammung zusammen als die des früheren Ehemannes. Zum anderen sehe das deutsche Abstammungsrecht (§ 1592 Nr. 2 BGB) die freiwillige Übernahme der Vaterschaft durch den neuen Partner der Mutter als günstige Lösung für das Kind an (MüKo-BGB-Helms, BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 19 EGBGB Rdnr. 20, 23; BeckOK-BGB-Heiderhoff, Stand: Nov. 2021, Art. 19 EGBGB Rdnr. 27).
Die Günstigkeit für das Kind, dessen Lebensverhältnisse sich nach den Üblichkeiten seines Aufenthaltsortes bestimmen könnten, könnte aus einem weiteren Grund für einen Vorrang deutschen Sachrechts sprechen: Bei einem Aufenthalt in Deutschland sei so der Normwiderspruch auf kollisionsrechtlicher Ebene aufzulösen. Es spreche nichts dafür, der aus einer Ehe abgeleiteten Vaterschaftszuordnung auch dann Vorrang zuzusprechen, wenn diese Zuordnung sich allein aus dem Heimatrecht eines Beteiligten ergebe, dem deutschen Sachrecht aber fremd sei (KG, FamRZ 2020, 1478, 1480).
Auf Erwägungen zur Günstigkeit könnte es nicht ankommen, wenn ihnen in den Prioritätsregelungen ein Anhaltspunkt nicht entnommen werden könnte: Die Zulässigkeit der Anerkennung schon vor der Geburt (§ 1594 IV BGB) diene allein dazu, den Beteiligten die Anerkennung zu erleichtern. Der Anerkennung vor der Geburt würden dadurch keine weitergehende Rechtsfolgen zugeordnet als der Anerkennung nach der Geburt (für den Nachrang nachgeburtlicher Anerkennung: BGHZ 215, 271, Rdnr. 19 ff.; BGH, NJW 2017, 3447, Rdnr. 15). Weder diese noch jene Anerkennung könne sich daher gegen die mit der Geburt vermutete Vaterschaft durchsetzen, deren Vermutungswirkung auf dem Gesetz, nicht auf einer Anerkennung beruhe (§ 1594 II BGB). Die Anerkennung werde daher jedenfalls erst nach Beseitigung der kraft Gesetzes zugewiesenen rechtlichen Vaterschaft wirksam, also nach statusdurchbrechender allseitiger Zustimmung (§ 1599 II BGB) oder nach Anfechtung (OLG Düsseldorf, FamRZ 2020, 357, 359; Staudinger-Rauscher, BGB, Neub. 2011, § 1594 Rdnr. 52).
Günstigkeit und Priorität könnten hinter der Verfügungsbefugnis der Beteiligten zurückstehen: Die nach dem Heimatrecht des geschiedenen Ehemannes bestehende Vaterschaftsvermutung habe kein größeres Gewicht als die nach deutschem Recht bestehende Vaterschaftsvermutung zu Gunsten des Anerkennenden. Bei der danach bestehenden Gleichrangigkeit der beiden Vaterschaftsvermutungen helfe das Prioritätsprinzip nicht weiter. Habe das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und könne deshalb deutsches Recht anwen...