Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgerecht: Berücksichtigung der Zustimmung der Kindeseltern zum vorläufigen Verbleib der Kinder in Pflegefamilien im Rahmen eines Sorgerechtsverfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Staat kommt nicht schon unter der Voraussetzung, dass ein Kind bei Pflegeeltern besser aufgehoben ist als bei der Mutter und/oder dem Vater, das Recht zu, den leiblichen Eltern auch nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht und noch weniger das gesamte elterliche Sorgerecht zu entziehen. Voraussetzung für einen derart weitgehenden Eingriff in das Elternrecht ist vielmehr, dass anderenfalls das geistige, seelische oder körperliche Wohl des Kindes gefährdet wäre und mildere Maßnahmen diese Gefährdung nicht abwenden können.
2. Die Versicherung von Kindeseltern, keineswegs die Kinder unverzüglich aus Pflegefamilien in den eigenen Haushalt zurückholen zu wollen, kann Beweis dafür sein, dass sie tatsächlich in der Lage sind, im Interesse ihrer Kinder tragfähige Lösungen für ein zukünftig besseres familiäres Zusammenleben zu suchen und zu finden.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 2; BGB §§ 1666, 1666a
Verfahrensgang
AG Cottbus (Beschluss vom 22.08.2008; Aktenzeichen 51 F 415/07) |
Tenor
Auf die befristete Beschwerde der Beteiligten zu 1. und 2. wird der Beschluss des AG Cottbus vom 22.8.2008 - Az. 51 F 415/07 - aufgehoben.
Es wird angeordnet, dass die Kindeseltern im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe Erziehungshilfen (§§ 27 ff. SGB VIII) und darüber hinaus für ihre Kinder zur Verfügung stehende Plätze in der Kindertagesstätte bzw. im Hort annehmen.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die - nicht miteinander verheirateten, aber zusammenlebenden - Eltern der am ... Dezember 2002 geborenen E. M., des am ... Februar 2004 geborenen M. M. und der am ... Dezember 2007 geborenen C. M.. Die Kindeseltern haben am 17.1.2008 Sorgeerklärungen für die drei Kinder nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben.
Die Kindeseltern haben seit 2004 nahezu durchgehend unter Einbeziehung verschiedener Träger in unterschiedlichem Umfang Hilfe zur Erziehung durch das Jugendamt C. erhalten. Wegen Erziehungsdefiziten hatte es bereits in der Vergangenheit Inobhutnahmen der Kinder E. und M. M. gegeben, nämlich in der Zeit vom 18. bis zum 22.4.2004 und erneut vom 22.6.2004 bis zum 4.8.2006. Am 13.12.2007 wurden beide Kinder erneut vom Jugendamt in Obhut genommen und zu einer Pflegefamilie gebracht. Die am 17.12.2007 in der elterlichen Wohnung geborene C. M. hat das Jugendamt am 19.12.2007 im Krankenhaus in Obhut genommen und in einer weiteren Pflegefamilie untergebracht. Anlass hierfür war der Eindruck des Jugendamtes, dass die Kindeseltern zunehmend weniger bereit gewesen seien, die Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen, gleichzeitig aber den Bedürfnissen der beiden älteren Kinder nicht gerecht werden könnten und insbesondere auch die Vorbereitungen für die nahe Geburt des dritten Kindes nicht mit dem gebotenen Nachdruck getroffen worden seien. Insgesamt - so die Einschätzung des Jugendamtes bei Antragstellung im Dezember 2007 - schienen die Eltern nicht allein mit ihrer "bockigen" Tochter E., sondern mit der gesamten Situation überfordert zu sein.
Die Kindeseltern sind der Inobhutnahme und der beantragten Entziehung des gesamten elterlichen Sorgerechts mit der Behauptung entgegengetreten, es habe auch und gerade wegen der uneingeschränkt fortbestehenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt kein dringender Handlungsbedarf bestanden.
Das AG hat ein Sachverständigengutachten zur Frage der Erziehungseignung der Kindeseltern eingeholt und im Ergebnis dessen mit Beschluss vom 22.8.2008 den Beteiligten zu 1. und 2. das Recht der elterlichen Sorge für alle drei Kinder bis auf Weiteres entzogen, die Vormundschaft für die Kinder angeordnet und das Jugendamt der Stadt C. zum Vormund bestellt.
Gegen diese Entscheidung haben beide Kindeseltern Beschwerde mit dem Ziel der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses eingelegt.
II. Die befristete Beschwerde der Kindeseltern ist gem. § 621e Abs. 1 und 3 ZPO i.V.m. §§ 517, 520 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden. Das Rechtsmittel ist in der Sache ganz überwiegend begründet.
Die in §§ 1666, 1666a BGB normierten Voraussetzungen für eine - auch teilweise - Entziehung des elterlichen Sorgerechts liegen nicht, jedenfalls nicht mehr vor.
Zwar bestehen nach den insoweit überzeugenden Feststellungen im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens durchaus nicht unerhebliche Bedenken gegen die Erziehungseignung beider Elternteile. Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, denen sich der Senat nach eigener kritischer Würdigung anschließt, sind beide Eltern nur eingeschränkt in der Lage, die kindlichen Belange zu erkennen und auf diese einzugehen. Dies zeigt sich e...