Leitsatz
Gegenstand der Entscheidung des OLG Brandenburg war die Frage, ob ein Sorgerechtsentzug zulässig ist, wenn die Kindeseltern öffentliche Hilfe annehmen, um von ihnen eingeräumte Defizite bei der Erziehung auszuräumen.
Sachverhalt
Das Jugendamt hatte die drei in den Jahren 2002, 2004 und 2007 geborenen Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern im Dezember 2007 in Obhut genommen. Die Kindeseltern hatten im Januar 2008 Sorgeerklärungen nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben.
Im Dezember 2007 erfolgte die Unterbringung der drei Kinder in Pflegefamilien, da die Eltern nach Auffassung des Jugendamtes mit der Erziehung und Betreuung der zwei älteren Kinder und des im Dezember 2007 Neugeborenen überfordert schienen. Das Jugendamt beantragte den Entzug der elterlichen Sorge insgesamt. Die Eltern verwiesen hingegen auf ihre uneingeschränkte Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und sahen keinen dringenden Handlungsbedarf für die Herausnahme der Kinder aus dem elterlichen Haushalt. Das FamG hat nach Einholung eines Gutachtens zur Erziehungseignung der Kindeseltern ihnen die elterliche Sorge für alle drei Kinder bis auf weiteres entzogen, Vormundschaft angeordnet und das Jugendamt zum Vormund bestellt. Gegen diese Entscheidung haben die Kindeseltern Beschwerde mit dem Ziel der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses eingelegt.
Das Rechtsmittel erwies sich in der Sache als überwiegend begründet.
Entscheidung
Das OLG vertrat die Auffassung, die in §§ 1666, 1666a BGB normierten Voraussetzungen für eine - auch teilweise - Entziehung des elterlichen Sorgerechts lägen - jedenfalls nicht mehr - vor.
Zwar beständen nicht unerhebliche Bedenken gegen die Erziehungseignung beider Eltern sowie eine Überforderungssituation im Zusammenhang mit der Geburt des dritten Kindes. Nachdem beide Eltern aber ihre Defizite in der Erziehungsfähigkeit und die daraus resultierende Kindesgefährdung unumwunden zugestanden hätten, sei der Sorgerechtsentzug aufzuheben.
Die Eltern seien unstreitig ohne öffentliche Unterstützung vorläufig nicht in der Lage, ihre Kinder ordnungsgemäß zu versorgen und zu betreuen. In den Pflegefamilien seien die Kinder gut aufgehoben. Einen Anspruch auf bestmögliche Eltern gebe es nicht. Selbst bei einer nicht optimalen Elternbetreuung sei ihr grundsätzlich der Vorrang vor einer - auch qualifizierten - Fremdbetreuung einzuräumen. Der Entzug des Sorgerechts als einschneidendster Eingriff in das Elternrecht nach Art. 6 GG setze voraus, dass das geistige, seelische oder körperliche Wohl der Kinder gefährdet wäre und mildere Maßnahmen diese Gefährdung nicht abwenden könnten. Nach der Anhörung der Kindeseltern distanzierte sich das OLG von der Einschätzung des Sachverständigen, wonach die Kindeseltern ihr eigenes Erziehungsverhalten unkritisch sähen, keine Einsicht zeigten und Problembewusstsein nicht entwickelten und daher beratungsresistent seien.
Sie würden vielmehr nachhaltig um Hilfe bei der Erziehung suchen und konkret-praktische Hilfestellung in der Bewältigung der Situationen geradezu anmahnen. Die Nachhaltigkeit des Suchens um Unterstützung sah das OLG auch in der freimütigen Zustimmung der Eltern zum vorläufigen Verbleib jedenfalls der beiden älteren Kinder in der Pflegefamilie. Beide Eltern hätten glaubhaft vermittelt, dass ihnen daran gelegen sei, zunächst die Umgangskontakte zu intensivieren und beabsichtigten, auch die Rückkehr des Neugeborenen langsam anzugehen. Ferner sei zu ihren Gunsten die Absicht zu berücksichtigen, die bestehenden Erziehungs- und Betreuungsdefizite in der Annäherungsphase vor der Rückkehr aller Kinder abzubauen. Dieses Verhalten spreche für ihre Reife und ihr Verantwortungsbewusstsein.
Das OLG appellierte an die Eltern, zukünftig in deutlich stärkerem Maße als in der Vergangenheit aktiv auf die Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen und deren auch emotionale Belange nicht nur wahrzunehmen, sondern ihr Handeln darauf einzurichten. Eine beständige und zuverlässige Mitarbeit der Eltern in ganz weiten Feldern der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder sei ebenso gefordert, wie eine nach den jeweils richtigen Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung suchende Unterstützung durch das Jugendamt.
Link zur Entscheidung
Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 18.12.2008, 9 UF 122/08