Leitsatz (amtlich)
Die Zulassung der Nebenklage wegen eines Deliktes gemäß § 395 Abs. 1 Ziff. 1 StPO hat trotz insoweit fehlenden hinreichenden Tatverdachts zu erfolgen, wenn der angezeigte Sachverhalt als Bestandteil der angeklagten Handlung, d.h. mit dieser als eine prozessuale Tat im Sinne von § 264 StPO angesehen werden kann.
Tenor
Auf die Beschwerde der Zeugin ... wird der Beschluss der 6. großen Strafkammer des Landgerichts ... vom 2. März 2010 insoweit aufgehoben, als unter Ziffer 7 der Antrag der Zeugin ... auf Anschluss als Nebenklägerin zurückgewiesen wurde. Die Zeugin ... wird als Nebenklägerin im Strafverfahren gegen den Anklagten ... zugelassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschwerdeführerin darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe
1. Mit Anklage der Staatsanwaltschaft ... vom 29. Januar 2010 werden den Angeklagten ... und anderen Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz, begangen im Zeitraum November 2007 bis zum 22. September 2009, vorgeworfen. Sie sollen unter anderem mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und dabei als Mitglied einer Bande gehandelt haben, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hatte sowie Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt haben. Der angeklagte Fall 7 hat u.a. einen Kokainschmuggel nach England zum Gegenstand. Der Angeklagte ...soll 2,99 kg Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 61% Kokain-Hydrochlorid in dem doppelten Boden eines Koffers zum Zwecke des Weitertransportes nach London versteckt haben. Der Angeklagte ... und der Angeklagte ... seien überein gekommen, das Rauschgift durch die Zeugin ... ..., der ehemaligen langjährigen Lebenspartnerin des Angeklagten ..., nach England weiter transportieren zu lassen.
In Umsetzung dieses Planes habe der Angeklagte ... der Zeugin ... ..., zugleich Beschwerdeführerin, die von dem Zweck der Reise nicht in Kenntnis gesetzt worden sei, den Koffer zur Fahrt nach England mitgegeben. Die Beschwerdeführerin sei am Abend des 15. September 2008 mit dem Bus nach London gefahren, wo sie das Kokain dem Rauschgiftabnehmer "Dave" habe übergegeben sollen. Die Beschwerdeführerin - so die Anklageschrift weiter - sei in Dover festgenommen worden und habe sich vom 17. September 2008 bis zum 24. April 2009 in England in Untersuchungshaft befunden; am 24. April 2009 sei sie vom Vorwurf des Betäubungsmittelhandels freigesprochen worden.
Mit Anwaltschriftsatz vom 28. Januar 2010 erstattete die Beschwerdeführerin bei der Staatsanwaltschaft ... Strafanzeige gegen den Angeklagten ... wegen qualifizierter Freiheitsberaubung gem. § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB und erklärte gem. § 396 Abs. 1 S. 2 StPO den Anschluss an das Ermittlungsverfahren als Nebenklägerin. Mit weiterem Anwaltschriftsatz vom 1. März 2010 hat die Zeugin ... gegenüber dem Landgericht ... beantragt, die Nebenklage gem. § 396 Abs. 2 S. 1 StPO zuzulassen.
Die 6. große Strafkammer des Landgerichts ... hat mit Beschluss vom 2. März 2010 den Antrag der Zeugin ... ... auf Anschluss als Nebenklägerin mit der Begründung zurückgewiesen, dass ein hinreichender Tatverdacht für eine qualifizierte Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft nicht gegeben sei, insbesondere würde der subjektive Tatbestand für eine Freiheitsberaubung seitens des Angeklagten ... nicht vorliegen. Hiergegen richtet sich die mit Anwaltschriftsatz vom 9. März 2010 erhobene Beschwerde der Zeugin ..., der die 6. große Strafkammer des Landgerichts ... mit Beschluss vom 10. März 2010 nicht abgeholfen hat.
Den Anschluss an das Strafverfahren gegen den Angeklagten ... hat die Zeugin nicht erklärt.
2. Die gem. § 304 StPO statthafte Beschwerde hat Erfolg, sie ist begründet.
Die Beschwerdeführerin hat in den Anwaltschreiben vom 28. Januar 2010 und 1. März 2010 dargelegt, Verletzte der Straftat der qualifizierten Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB zu sein, mithin eines Deliktes das gem. § 395 Abs. 1 Ziff. 1 lit. d) StPO zu einer Nebenklage berechtigt.
Die Nebenklagebefugnis aus § 395 Abs. 1 StPO besteht schon dann, wenn nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Antragstellers die Verurteilung des Angeklagten rechtlich möglich erscheint (vgl. RGSt 69, 244; BGH MDR (H) 1978, 461; BGH NStZ-RR 2002, 340; BGH NStZ-RR 2008, 352; LG Koblenz NJW 2004, 305; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 204, 205; ...-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 396 Rdnr. 10; KK-Senge, StPO, 6. Aufl. 2008, § 396 Rdnr. 5). In den Fällen des § 395 Abs. 1 Nr. 1 StPO genügt es deshalb, wenn nach dem von der Anklage umfassten Sachverhalt (§§ 155, 264 StPO) die Verurteilung wegen einer qualifizierten Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft materiell-rechtlich in Betracht kommt (BGH aaO., OLG Düsseldorf aaO.; OLG Celle NJW 1969, 945; OLG Frankfurt/M. NJW 1979, 994, 995). Die Nebenklagebefugnis setzt dagegen keinen dringenden oder auch nur hinreichenden Tatverdacht für eine zum Anschluss berechtigend...