Leitsatz (amtlich)
Geht der Unterhaltsschuldner einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach, die ihn nicht in den Stand setzt, den Mindestunterhalt zu zahlen, ist ihm hinsichtlich der Aufgabe der Tätigkeit und der Aufnahme einer nicht selbständigen Tätigkeit eine Überlegungsfrist zuzubilligen, wenn er erst auf Grund eines Obhutswechsels des Kindes barunterhaltspflichtig wurde.
Normenkette
BGB § 1603
Verfahrensgang
AG Fürstenwalde (Beschluss vom 14.06.2012; Aktenzeichen 10 F 839/11) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss in der Gestalt der teilweise abhelfenden Entscheidung vom 23.10.2012 wird teilweise abgeändert.
Der Antragsgegnerin wird Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... in F. auch insoweit bewilligt, als sie sich für die Zeit von März bis August 2011 gegen die Zahlung von Unterhalt überhaupt wendet.
Der weiter gehende Antrag und die weiter gehende sofortige Beschwerde werden zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Dies folgt aus der Verweisung in § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG auf die allgemeinen Vorschriften der ZPO und damit auch auf § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Soweit das AG in der Abhilfeentscheidung vom 23.10.2012 die Vorschrift des § 76 FamFG herangezogen hat, ist dies unrichtig. Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG sind in Ehesachen und Familienstreitsachen, zu denen die Unterhaltssachen wie vorliegend zählen, insbesondere §§ 76 bis 96 FamFG nicht anzuwenden. Das bedeutet, dass auch hinsichtlich der Prüfung der Voraussetzungen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe die §§ 114 ff. ZPO nicht aufgrund der Verweisung in § 76 Abs. 1 FamFG, sondern aufgrund der Verweisung § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG heranzuziehen sind.
II. Die sofortige Beschwerde ist zum Teil begründet. Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Rechtsverteidigung bietet über die Feststellung des AG in seiner teilweise abhelfenden Entscheidung vom 23.10.2012 hinaus in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg, §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 114 ZPO.
1. Im Wege der teilweisen Abhilfe hat das AG auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt, soweit sie sich gegen die Zahlung höheren Kindesunterhalts als den Mindestunterhalt wendet. Dem weiter gehenden Begehren der Antragsgegnerin, nämlich überhaupt keinen Unterhalt zahlen zu müssen, fehlt die hinreichende Erfolgsaussicht nicht etwa bereits deshalb, weil das AG am 25.10.2011 eine einstweilige Anordnung zur Zahlung des Mindestunterhalts erlassen und diese durch Beschluss vom 22.2.2012 aufrechterhalten hat (10 F 840/11). Denn der Antragsteller hat zugleich mit dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das vorliegende Hauptsacheverfahren eingeleitet. Bei Wirksamwerden der Entscheidung im Hauptsacheverfahren tritt die einstweilige Anordnung außer Kraft, § 56 Abs. 1 FamFG.
Andererseits berührt die Frage, inwieweit die Antragsgegnerin aufgrund der erlassenen einstweiligen Anordnung den Mindestunterhalt gezahlt hat bzw. noch zahlt, die Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverteidigung nicht. Denn mangels anderweitiger Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin etwaige Zahlungen lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet hat, so dass Erfüllungswirkung nicht angenommen werden kann (vgl. OLG Brandenburg, 2. Familiensenat, Urt. v. 19.4.2011 - 10 UF 89/10 BeckRS 2011, 13113; s. a. BGHZ 86, 267).
2. Die Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin bietet für die Zeit von März bis August 2011 hinreichende Aussicht auf Erfolg. Bei der im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 114 Rz. 19; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf-/Gutjahr, 2. Aufl., § 1 Rz. 167) kann angenommen werden, dass die Antragsgegnerin in diesem Zeitraum zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht verpflichtet ist.
a) Auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Einkünfte ist die Antragsgegnerin in der Zeit von März bis August 2011 nicht leistungsfähig. Ihr bereinigtes Einkommen übersteigt in diesem Zeitraum den notwendigen Selbstbehalt von 950 EUR (vgl. Nr. 21.2 der Unterhaltsleitlinien des OLG Brandenburg, Stand 1.1.2011) nicht.
aa) Bis einschließlich August 2011 war die Antragsgegnerin ausschließlich selbständig als Kosmetikerin tätig. Zur Ermittlung der Einkünfte eines selbständigen oder freiberuflich tätigen Unterhaltsschuldners ist wegen der meist schwankenden Einkünfte von dem Gewinn dreier aufeinanderfolgender Geschäftsjahre auszugehen (vgl. Nr. 1.5 der Unterhaltsleitlinien des OLG Brandenburg, Stand 1.1.2008). Selbst wenn man insoweit auf die Geschäftsjahre von 2008 bis 2010 abstellt und den deutlich rückläufigen Gewinn im Jahr 2011 - dem Jahr, in dem die Antragsgegnerin ab September 2011 zusätzlich eine abhängige Beschäftigung aufgenommen hat - außer Betracht lässt, ergibt sich - wie noch zu zeigen ist - ein über dem notwendigen Selbstbehal...