Leitsatz (amtlich)

Das Gericht ist nur dann befugt, unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation Beweisanträge nach § 77 Abs. 2 Nr.1.OWiG zurückzuweisen, wenn es seine nach § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG prinzipiell fortbestehende Aufklärungspflicht nicht verletzt. Verletzt ist die Aufklärungspflicht dann, wenn sich dem Gericht eine Beweiserhebung aufdrängen musste oder diese nahe lag.

 

Verfahrensgang

AG Strausberg (Entscheidung vom 06.02.2012)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 6. Februar 2012 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Strausberg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Strausberg hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 6. Februar 2012 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 320,- Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten verhängt.

Nach den Feststellungen habe der Betroffene am 27. Juli 2011 gegen 12.25 Uhr mit einem Pkw, amtliches Kennzeichen XXXX, in Hoppegarten bei Müncheberg die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 57 km/h überschritten.

Dagegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. März 2012 rechtzeitig begründet. Er rügt die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt

zu entscheiden, wie geschehen.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist mit der Verfahrensrüge zulässig und begründet.

"Die Rechtsbeschwerde hat jedenfalls vorläufig Erfolg. Unbeschadet des Erfolges der übrigen Verfahrensrügen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages auf Beiziehung der Bedienungsanleitung des Gerätes Riegl FG 2I-P sowie der Verlesung des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen YYYY vom 28. Januar 2012 und des hilfsweise angebrachten Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der Visiertest an einem Baum der Vorgabe der Bedienungsanleitung widerspreche sowie aufgrund der Sachrüge Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die Ablehnung der vorgenannten Beweisanträge nach § 77 Abs. 2 OWiG ist rechtsfehlerhaft erfolgt. Zudem genügen die Feststellungen des Amtsgerichts nicht den Anforderungen, die bei bestreitender Einlassung des Betroffenen an die Darlegung eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Messergebnisses zu stellen sind.

Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG verpflichtet, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Den Umfang der Beweisaufnahme hat der Amtsrichter - unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache, § 77 Abs. 1 Satz 2 OWiG - nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. In § 77 Abs. 2 OWiG ist für die Beweisaufnahme im Bußgeldverfahren zudem eine über das Beweisantragsrecht in der Strafprozessordnung (§ 244 Abs. 3 bis 6 StPO) hinausgehenden Sondervorschrift normiert.

Danach kann das Gericht, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, einen Beweisantrag auch dann ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Hierzu müssen drei Voraussetzungen vorliegen:

Es muss bereits eine Beweisaufnahme stattgefunden haben, aufgrund der Beweisaufnahme muss der Richter zu der Überzeugung gelangt sein, der Sachverhalt sei geklärt und die Wahrheit gefunden und die beantragte Beweiserhebung muss nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur weiteren Erforschung der Wahrheit nicht mehr erforderlich sein.

Damit ist das Gericht unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge nach § 77 Abs. 2 Nr, 1 OWiG zurückzuweisen, wenn es seine nach § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG prinzipiell fortbestehende Aufklärungspflicht nicht verletzt. Verletzt ist die Aufklärungspflicht dann, wenn sich dem Gericht eine Beweiserhebung aufdrängen musste oder diese nahe lag (vgl. OLG Köln VRs 88, 376; OLG Düsseldorf NStZ 1991, 542 f.; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 77 Rdn, 11, 12),

Bei der Verwendung eines so genannten standardisierten Messverfahrens zum Beleg einer Geschwindigkeitsüberschreitung, zu denen auch das hier verwendete Lasermessgerät Riegl VG 21- T zählt, ist einzubeziehen, dass in diesem Fall nur eingeschränkte tatsächliche Feststellungen erforderlich sind (vgl. BGHSt 39, 221; 43, 277, 283 f.). Indes wird anerkannt, dass sich eine weitere Aufnahme zur Aufklärung auf ein standardisiertes Messverfahren gestützten Beweisführung aufdrängt oder diese doch nahe liegt, wenn konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes (vgl. OLG Köln VRs 88, 376 ff.; OLG Hamm NZV 2007, 155 f.; Göhler a.a.O. § 77 Rdn. 14) behauptet werden.

Gleiches muss gelten, wenn - wie hier - un...

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