Leitsatz (amtlich)
1. a) Das dringende Bedürfnis zu sofortiger, einstweiliger Übertragung der gemeinsam ausgeübten elterlichen Sorge auf ein Elternteil allein besteht, wenn eine Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, die Hauptsache aber im Sinne des Antragstellers entschieden würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch die vorläufige Maßnahme eintreten können, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln ist, wenn sich der Antrag in der Hauptsache als erfolglos erweisen sollte.
b) Auf die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache gestellten Anträge kommt es nicht an. Es bedarf deshalb keiner Prognose, ob die gemeinsame Sorge aufgehoben werden wird und wem in diesem Falle die Alleinsorge zu übertragen sein wird. Eine Erörterung der für die Hauptsacheentscheidung entwickelten Kriterien ist im Verfahren der einstweiligen Anordung nicht erforderlich.
2. Die einstweilige Anordnung darf nur solche Gebote enthalten, die eine Rechtsgrundlage in den Vorschriften finden, die die Hauptsache regeln. Sie muss eine Stütze im materiellen Recht finden und darf keine hoheitlichen Beschränkungen enthalten, die nach materiellem Recht nicht statthaft sind, wohl aber hinter dem danach Statthaften zurückbleiben, um eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung zu vermeiden.
Normenkette
BGB § 1671 Abs. 1 S. 2; FamFG § 49
Verfahrensgang
AG Nauen (Beschluss vom 29.08.2013; Aktenzeichen 20 F 97/13) |
Tenor
Auf die Beschwerden des Antragstellers und der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG Nauen vom 29.8.2013 aufgehoben, soweit den Eltern aufgegeben wird, unverzüglich eine langfristige Beratung bei einer Beratungsstelle aufzunehmen (Nr. 1 Abs. 2 der Entscheidungsformel).
Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
Der Antrag der Antragsgegnerin, ihr zu gestatten, das gemeinsame Kind in die Eingangsstufe der ...-Schule in H. einschulen zu lassen, wird abgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden unter dem Antragsteller und der Antragsgegnerin gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin streiten um die elterliche Sorge.
I.1. Aus der nichtehelichen Lebensgemeinschaft des Antragstellers und der Antragsgegnerin ist das im Oktober 2007 geborene Kind hervorgegangen, für das sie die elterliche Sorge auf Grund von Sorgeerklärungen gemeinsam ausüben.
Nach der Trennung im April oder Mai 2010 betreuten der Antragsteller und die Antragsgegnerin das Kind im wöchentlichen Wechsel. Die Antragsgegnerin bewohnte zu diesem Zweck in den Betreuungswochen eine Wohnung in N., nachdem sie nach H. bei F. umgezogen war.
Ein 2010 von dem Antragsteller begonnenes Verfahren um das Sorgerecht endete mit einem Vergleich, in dem die Eltern vereinbarten, es bei der gemeinsamen Sorge zu belassen und das strenge Wechselmodell fortzusetzen (Protokoll des AG Nauen vom 8.10.2010 - 23 F 218/10 -, Bl. 99 f.). Im darauffolgenden Jahr scheiterte ein Antrag der Antragsgegnerin, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht durch einstweilige Anordnung zu übertragen (Senatsbeschluss vom 15.6.2011 - 13 UF 78/11).
Bis Oktober 2012 besuchte das Kind die Vorschulgruppe eines Kindergartens in N.. Zum Beginn des Schuljahres 2013/2014 meldete die Antragsgegnerin das Kind zur Eingangsstufe einer Grundschule in H. an. Der Antragsteller verhinderte die Einschulung, indem er geltend machte, nicht zugestimmt zu haben. Nachdem das Kind im Sommer 2013 einige Wochen bei der Antragsgegnerin in H. verbracht hatte, setzte es den Kindergartenbesuch in N. fort.
2. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin haben jeweils beantragt, ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht durch einstweilige Anordnung zu übertragen.
Der Antragsteller hat vorgetragen, er wolle an dem vereinbarten Wechselmodell festhalten. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht müsse ihm übertragen werden, damit er einem einseitig von der Antragsgegnerin betriebenen Wohn- und Aufenthaltswechsel des Kindes entgegenwirken könne.
Die Antragsgegnerin hat behauptet, das Kind wolle bei ihr in H. wohnen. Es fühle sich in der Familie des Antragstellers nicht wohl. Es entspreche seiner Begabung, umgehend in die Eingangsstufe der Grundschule in H. eingeschult zu werden.
3. Das AG hat das Kind und die Eltern angehört (Protokoll vom 29.8.2013, Bl. 64 ff.). Es hat beide Anträge abgewiesen und den Eltern zugleich aufgegeben, "unverzüglich eine langfristige Beratung bei einer geeigneten Beratungsstelle aufzunehmen mit dem Ziel, ihre Kooperationsfähigkeit zu stärken und künftig gemeinsam Verantwortung für Leonie zu tragen". Die Eltern seien darauf zu verweisen, sich an die von ihnen getroffene Vereinbarung über die wechselweise Betreuung des Kindes zu halten. Bis zur Einschulung des dann sechs Jahre alten Kindes im Jahr 2014 sollten sie lernen, auf das Kind zu achten, um auch künftig die Elternverantwortung gemeinsam auszuüben. Es entspreche derzeit nicht dem Kinde...