Leitsatz (amtlich)
1. a) Das dringende Bedürfnis zu sofortiger, einstweiliger Übertragung der gemeinsam ausgeübten elterlichen Sorge auf ein Elternteil allein besteht, wenn eine Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, die Hauptsache aber im Sinne des Antragstellers entschieden würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch die vorläufige Maßnahme eintreten können, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln ist, wenn sich der Antrag in der Hauptsache als erfolglos erweisen sollte.
b) Auf die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache gestellten Anträge kommt es nicht an. Es bedarf deshalb keiner Prognose, ob die gemeinsame Sorge aufgehoben werden wird, und wem in diesem Falle die Alleinsorge zu übertragen sein wird. Eine Erörterung der für die Hauptsacheentscheidung entwickelten Kriterien ist im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht erforderlich.
2. Die Entscheidung über eine einstweilige Anordnung darf nicht dazu dienen, das rechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin zu sanktionieren, die mit trotz gemeinsamer elterlicher Sorge allein entschieden hat, mit dem Kind umzuziehen und es in der Schule anzumelden. Ebenso wird mit der Ablehnung der von dem Antragsteller beantragten einstweiligen Anordnung die Rechtswidrigkeit nicht nachträglich behoben.
3. Die Wahrscheinlichkeit eines auf lange Sicht schädigenden Einflusses des Elternstreits auf die Entwicklung des Kindes rechtfertigt nicht eine Gefahrenabwehrmaßnahme, die mit hoheitlichem Zwang in die Rechte sowohl des Kindes als auch der Eltern eingriffe (§ 1666 BGB), sondern es sind Maßnahmen der Risikovorsorge und Gefahrvermeidung angezeigt. Der zu erwartenden Schadensneigung ist durch Beratung und Hilfe zu begegnen.
Verfahrensgang
AG Nauen (Beschluss vom 21.08.2013; Aktenzeichen 18 F 84/13) |
Tenor
Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Verfahrensbeistandes wird der Beschluss des AG Nauen vom 21.8.2013 abgeändert:
Die Anträge des Antragstellers und der Antragsgegnerin auf Erlass einstweiliger Anordnungen werden abgelehnt.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird im Übrigen zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens über die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen werden unter dem Antragsteller und der Antragsgegnerin gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin streiten um die elterliche Sorge.
I.1. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind miteinander verheiratet. Sie lebten in P. zusammen. Im September 2012 trennten sich die Eheleute. Die Antragsgegnerin verließ mit ihrem im März 2007, während der Ehezeit, geborenen Sohn die Familienwohnung und zog nach N. Dort besuchte das Kind seit August 2012 die von den Eltern gemeinsam ausgewählte Grundschule.
Im April 2013 beantragte die Antragsgegnerin, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Entscheidung über die Schulwahl zu übertragen. Der Antragsteller erwiderte darauf mit dem Antrag, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Die Akten zu dem über die Anträge geführten Verfahren (AG Nauen - 18 F 46/13) haben dem Senat vorgelegen. Die Antragsgegnerin trug vor, sie wolle nach B. umziehen, um ihren Arbeitsweg zur H. zu verkürzen. Sie könne Arbeitsbeginn und Arbeitsende nicht mehr so selbständig festlegen wie bisher. Das Kind solle das neue Schuljahr in B. beginnen. Der Antragsteller wollte einen erneuten Umzug und einen Schulwechsel des Kindes verhindern. Die Antragsgegnerin beabsichtige, den Kontakt zwischen Vater und Kind zu erschweren, nachdem der Umgang seit der Trennung nur unregelmäßig und begleitet von Auseinandersetzungen zwischen den Eltern möglich gewesen sei.
Das AG beschloss im Juni 2013, zu den Auswirkungen der Sorge- und Umgangsgestaltung auf das Kindeswohl Beweis zu erheben durch Einholen eines Sachverständigengutachtens. Das Gutachten ist noch nicht erstattet.
Während der Sommerferien zog die Antragsgegnerin mit dem Kind nach B. um. Das Kind begann sein zweites Schuljahr an einer staatlichen Grundschule in B. in der Nachbarschaft der Wohnung der Antragsgegnerin. Eine private Grundschule hatte zuvor den von der Antragsgegnerin geschlossenen Schulvertrag wieder gekündigt, nachdem der Antragsteller auf sein fehlendes Einverständnis hingewiesen hatte.
2. Im August 2013 haben der Antragsteller und - darauf erwidernd - die Antragsgegnerin den Erlass einstweiliger Anordnungen beantragt, um die sofortige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Entscheidung in schulischen Belangen zu erreichen.
Der Antragsteller hat gemeint, das Interesse des Kindes, die Schule nicht und den Wohnort nicht erneut wechseln zu müssen, müsse gegen die Alleinentscheidung der Antragsgegnerin geschützt werden. Er wolle erreichen, dass das Kind weiter in N. zur Schule gehe, bei ihm wohne und sich von Donnerstag nach Schulschluss bis Sonntag Abend bei der Antragsgegnerin aufhalte.
D...