Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Gesetzliche Grundlage für die verdachtsabhängige Herstellung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen zur Verfolgung von Geschwindigkeitsüberschreitungen in Bußgeldsachen ist § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG.

  • 2.

    Der Anfangsverdacht für die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit kann auch dann vorliegen, wenn die Auslösung des Messfotos nicht für jedes betroffene Fahrzeug durch den Messbeamten gesondert veranlasst wird, sondern auf einer vorab erfolgten Programmierung des Geschwindigkeitsmessgerätes auf einen bestimmten Grenzwert beruht.

  • 3.

    Die Herstellung von Messfotos zur Identitätsfeststellung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten verstößt grundsätzlich nicht gegen den Subsidiaritätsgrundsatz (§ 100 h Abs. 1 Satz 1 a.E. StPO), weil die Geschwindigkeitsmessung und lichtbildgestützte Tatfeststellung im standardisierten Verfahren eine bewährte und besonders zuverlässige Möglichkeit zur Ermittlung der Identität der Tatverdächtigen bietet, die durch andere Maßnahmen nicht gleichermaßen gewährleistet und ersetzt werden kann.

 

Normenkette

StPO § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1; OWiG § 46 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Potsdam (Entscheidung vom 03.11.2009)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 05.07.2010; Aktenzeichen 2 BvR 759/10)

 

Tenor

Die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 3. November 2009 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Potsdam hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften unter Berücksichtigung einer Voreintragung im Verkehrszentralregister eine Geldbuße von 135 EUR verhängt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene mit dem Pkw mit amtlichem Kennzeichen ... am 3. April 2009 die Bundesautobahn 10 bei km 121,0 in Richtung Autobahndreieck H. mit einer Geschwindigkeit von mindestens 117 km/h, obwohl dort durch beidseitig angebrachte Verkehrszeichen eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h angeordnet war.

Zur Begründung der Fahrereigenschaft des Betroffenen sowie der Geschwindigkeitsübertretung hat sich das Amtsgericht auf das durch die Geschwindigkeitsmessanlage vom Typ ES 3.0 ermittelte Messergebnis, das den Betroffenen zeigende Messfoto sowie das Zeugnis des Messbeamten gestützt, der nach den Urteilsgründen zur Örtlichkeit und Einrichtung der Messstelle Näheres ausgeführt und u.a. bekundet hat, er habe den "Grenzwert" des Messgerätes auf 92 km/h eingestellt mit der Folge, dass alle Fahrzeuge die diesen Grenzwert erreichten oder schneller fuhren, erfasst worden seien.

Der Betroffene hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil beantragt und beanstandet, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Aufnahme des Lichtbildes fehle, so dass das Foto nicht zum Beweiszwecke habe verwertet werden dürfen.

II.

Die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich als unbegründet. Die auf die Sachrüge hin erfolgte Überprüfung der angefochtenen Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.

Insbesondere ist das Amtsgericht entgegen der von dem Betroffenen vertretenen Auffassung mit Recht davon ausgegangen, dass die Geschwindigkeitsmessung und Feststellung der Identität des Fahrers durch Aufnahme und Auswertung eines Messfotos zulässig war und den Betroffenen nicht in seinem grundrechtlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Anfertigung von Lichtbildern anlässlich einer Geschwindigkeitsmessung ebenso wie eine entsprechende Videoaufzeichnung einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, weil und sofern hierdurch zur Datenerhebung sowohl das Kennzeichen des Kraftfahrzeugs als auch die Person des Fahrzeugführers identifiziert werden können (vgl. zur Videoüberwachung BVerfG NJW 2009, 3293 m.w.N.). Eine zulässige Beschränkung dieses Grundrechtsschutzes erfordert eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs bereichsspezifisch, präzise und normenklar regelt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht wird (BVerfG a.a.O..).

2.

Gesetzliche Grundlage für die verdachtsabhängige Herstellung von Lichtbildern sowie Videoaufzeichnungen ist § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, der in Bußgeldverfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG entsprechend anwendbar ist und im Hinblick auf seinen bereichsspezifischen Regelungsgehalt den an eine grundrechtsbeschränkende Ermächtigungsnorm zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (ebenso OLG Bamberg NJW 2010, 100, 101; Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 6. Januar 2010 - 1 Ss 291/09; OLG Stuttgart, Beschl. v. 29. Januar 2010 - 4 Ss 1525/09; VG Gelsenkirchen, ...

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