Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterliche Sorge: Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im einstweiligen Anordnungsverfahren wegen Erziehungsunvermögens eines Elternteils
Leitsatz (redaktionell)
Kann die Kindesmutter den Wunsch eines Kindes, im Haushalt des Kindesvaters zu leben, nicht akzeptieren, so entspricht es dem Wohl des Kindes, ihr die gemeinsame Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu entziehen und auf den Vater allein zu übertragen.
Normenkette
BGB § 1666 Abs. 1
Tenor
1. Der Kindesmutter wird zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens auf ihren Antrag vom 7.6.2010 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt.,..., bewilligt.
2. Dem Kindesvater wird im Hinblick auf seinen Verfahrenskostenhilfeantrag vom 24.3.2010 aufgegeben, Nachweise über den Stand seines Giro- und Bausparkontos sowie seine Gehaltsabrechnungen ab Februar 2010 vorzulegen und darzutun, welche Beträge von der Insolvenz nicht erfasst sind.
3. Das als Beschwerde zu wertende Rechtsmittel der Kindesmutter vom 4.1.2010 gegen den Beschluss des AG Oranienburg vom 18.12.2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Kindesmutter auferlegt.
Der Beschwerdewert wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern der minderjährigen Kinder J. H., geboren am ... September 1998 und - vom vorliegenden Verfahren nicht betroffen - M. H., geboren am ... Dezember 2000. Sie betrieben in der Vergangenheit und betreiben teilweise weiterhin eine Vielzahl von Verfahren zum Umgangs- und Sorgerecht für ihre Kinder. Im Rahmen der beim AG Oranienburg zunächst unter dem Aktenzeichen 33 F 93/09, nunmehr 39 F 83/10 anhängigen Sorgerechtssache, die am 26.5.2009 nach aus einem Parallelverfahren gezogenen Erkenntnissen vom AG von Amts wegen eingeleitet wurde, erging am selben Tage im Wege einstweiliger Anordnung ein Beschluss, durch den der Kindesmutter vorläufig die Personensorge für beide Kinder entzogen wurde. Diese Entscheidung wurde durch weiteren Beschluss vom 8.7.2009 wieder aufgehoben und das Verfahren in der Hauptsache durch Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Diplompsychologin I. M... fortgesetzt. Diese vereinbarte mit den Kindeseltern am 14.7.2009 die Praktizierung eines Wechselmodells für die Dauer der Begutachtung, um möglichst objektive Erkenntnisse gewinnen zu können. Unmittelbar vor der Fertigstellung ihres schriftlichen Gutachtens setzte die Sachverständige das AG davon in Kenntnis, dass aus ihrer Sicht im Hinblick auf J. eine akute Kindeswohlgefährdung mit Suizidgefahr vorliege. Der Junge leide an einer schweren psychischen Erkrankung mit dringendem Behandlungsbedarf und sei nach den Feststellungen seiner Klassenlehrerin seit zwei Wochen völlig teilnahmslos und depressiv. Er habe aber den ausdrücklichen Wunsch geäußert, beim Vater leben zu wollen, was die Mutter nicht akzeptiere. Daraufhin beschloss das AG Oranienburg ohne Anhörung der Beteiligten noch am selben Tage das Aufenthaltsbestimmungsrecht für J. der Kindesmutter zu entziehen und auf den Kindesvater (allein) zu übertragen, der gleichzeitig beauflagt wurde, den Jungen unverzüglich einem Kinder- und Jugendpsychiater vorzustellen und eine Psychotherapie bei einem ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten zu veranlassen.
Der Kindesvater nahm J. am Abend des Folgetages, des 18.11.2009, in seine Obhut, nachdem er Kenntnis davon erhalten hatte, dass die Kindesmutter die stationäre Unterbringung des Jungen in der Kinderpsychiatrie in B. veranlassen wollte. Ende November 2009 verzogen Vater und Sohn nach S., wo der Beteiligte zu 2 seither als Erzieher mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden tätig ist.
Zeitgleich wandte sich die Kindesmutter mit einem Antrag auf mündliche Verhandlung gegen die ergangene Entscheidung und führte aus, der Umzug von Vater und Sohn, der für J. mit einem Schulwechsel verbunden sei, entspreche nicht dem Kindeswohl. Die Praktizierung eines Wechselmodells sei ausdrücklich nur für die Dauer der Begutachtung abgesprochen und nach Fertigstellung des Gutachtens folglich von ihr nicht einseitig beendet worden. Sie habe vielmehr ihrerseits alles unternommen, um J. der dringend benötigten stationären Psychotherapie zuzuführen. So habe sie eine Kostenzusage der Krankenkasse erwirkt, die Einweisung des den Sohn bislang behandelnden Psychologen eingeholt und in der Klinik vorgesprochen. Demgegenüber komme der Kindesvater den gerichtlichen Auflagen zur Behandlung des Kindes nicht hinreichend nach.
Seit Ende November 2009 besucht J. eine Gesamtschule in S. und teilte dem Verfahrensbeistand in zwei Telefonaten Ende November und Anfang Dezember 2009 mit, ihm gehe es jetzt gut, er wolle (ohne die Schwester) beim Vater wohnen bleiben, was er jedoch der Mutter bei deren Wochenendbesuch nicht gewagt habe, zu sagen. In ähnlicher Weise äußerte sich J. bei seiner Anhörung am 10.12.2009 vor dem zuständigen Amtsrichter. Er befürchte, dass die Mutter seinen Wunsch...