Leitsatz
Gemeinsam sorgeberechtigte Eltern zweier im September 1998 und im Dezember 2000 geborener Kinder betrieben eine Vielzahl von Verfahren zum Umgangs- und Sorgerecht für ihre Kinder. In der vorliegenden Entscheidung hat sich das OLG Brandenburg mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im einstweiligen Anordnungsverfahren auf den Kindesvater für das im September 1998 geborene Kind auseinandergesetzt, das an einer schweren psychischen Erkrankung litt und deutlich den Wunsch geäußert hatte, bei seinem Vater leben zu wollen.
Sachverhalt
Nach seit Jahren andauernden Streitigkeiten der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern um das Sorge- und Umgangsrecht hatte das AG ohne Anhörung der Beteiligten das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den im Jahre 1998 geborenen Sohn der Beteiligten auf den Kindesvater übertragen und ihm die Auflage erteilt, den Jungen unverzüglich einem Kinder- und Jugendpsychiater vorzustellen und eine Psychotherapie bei einem ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten zu veranlassen. Vorausgegangen war die vom Familiengericht beauftragte Erstellung eines Gutachtens einer sachverständigen Diplompsychologin, die in ihrem Gutachten festgestellt hatte, dass aus ihrer Sicht bei J. eine akute Kindeswohlgefährdung mit Suizidgefahr vorliege. Der Junge leide an einer schweren psychischen Erkrankung mit dringendem Behandlungsbedarf und sei nach den Feststellungen seiner Klassenlehrerin seit zwei Wochen völlig teilnahmslos und depressiv. Er habe aber ausdrücklich den Wunsch geäußert, beim Vater leben zu wollen, was die Mutter nicht akzeptiere.
Nach Erlass der einstweiligen Anordnung und Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn nahm der Kindesvater den Sohn in seine Obhut und verzog mit ihm Ende November 2009 in einen anderen Ort, wo er seither als Erzieher tätig war.
Die Kindesmutter wandte sich mit einem Antrag auf mündliche Verhandlung gegen die ergangene Entscheidung und führte aus, der Umzug von Vater und Sohn entspreche nicht dem Kindeswohl.
Seit Ende November 2009 besuchte der Sohn eine Gesamtschule an dem neuen Wohnort seines Vaters und teilte dem Verfahrensbeistand in zwei Telefonaten Ende November und Anfang Dezember 2009 mit, es gehe ihm jetzt gut, er wolle (auch ohne die Schwester) beim Vater wohnen bleiben, traue sich jedoch nicht, dies seiner Mutter mitzuteilen. In ähnlicher Weise äußerte sich der Sohn anlässlich seiner Anhörung am 10.12.2009 vor dem zuständigen Amtsrichter. Er befürchte, dass die Mutter seinen Wunsch nicht akzeptieren werde, wolle aber auf keinen Fall in ihren Haushalt zurück.
Das AG hat daraufhin einen Beschluss erlassen, indem es die einstweilige Anordnung aufrecht erhielt und begründet diesen Beschluss mit der Kindeswohlgefährdung durch das Verhalten der Mutter. Es sei zu erwarten, dass auch die Hauptsacheentscheidung in dem Sinne ergehen werde, dass das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater zuzusprechen sei.
Gegen diese Entscheidung wandte sich die Kindesmutter mit der Beschwerde. Ihr Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Das OLG kam insbesondere aufgrund der von ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens durchgeführten weiteren Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass dem Wohl des Kindes bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nur dadurch Rechnung getragen werden könne, dass nach § 1666 Abs. 1 BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Jungen der Mutter entzogen und auf den Kindesvater allein übertragen werde.
Eine begründete Besorgnis der zukünftigen Schädigung des Kindeswohls entstehe in aller Regel aus Vorfällen in der Vergangenheit, wobei im vorliegend zu beurteilenden Fall bereits nach den dieses Verfahren einleitenden Erkenntnissen der Sachverständigen in der parallelen Auseinandersetzung um das Sorgerecht von einem Erziehungsunvermögen der Kindesmutter auszugehen sei. Der unbestimmte Rechtsbegriff des Erziehungsunvermögens werde durch verschiedene Erscheinungsformen konkretisiert, wie etwa den Missbrauch der elterlichen Sorge, der Kindesvernachlässigung und das Versagen der Eltern.
Die beiden erstgenannten Erscheinungsformen seien im vorliegenden Fall mit Sicherheit nicht in Betracht zu ziehen, wohl aber ein unverschuldetes Versagen der Kindesmutter durch trotz oder gerade in Kenntnis der psychischen Beeinträchtigungen ihres Sohnes dessen Willen, augenblicklich beim Vater leben zu wollen, fehlende Akzeptanz.
Dabei werde die fachliche Kompetenz der Kindesmutter, selbst Medizinerin, und ihr anerkennenswertes, überobligatorisches Bemühen um eine angemessene Behandlung des aufgrund einer psychischen Erkrankung therapiebedürftigen Sohnes nicht verkannt.
Allerdings hätte die Kindesmutter jedenfalls mit Bekanntgabe des Inhalts der Kindesanhörung durch den Amtsrichter vom 10.12.2009 und den Stellungnahmen der übrigen Beteiligten im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu der Einsicht gelangen müssen, dass es seit geraumer Zeit dem erklärten Wunsch des Sohnes entspreche, mit dem Vater zusammen zu leben. Selbst wenn sich der inzwischen 11 1/2 Jah...